Abtreibungen: Ärztinnen und Ärzte in SH werden bedroht
In Schleswig-Holstein werden zunehmend Frauenärztinnen und -ärzte bedroht, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder auch nur darüber informieren. Das ergab eine Recherche von NDR Schleswig-Holstein. Wird die Leistung auf der Internetseite veröffentlicht, steige das Risiko für die Gynäkologen und Gynäkologinnen, sagt der Berufsverband.
77 Ärztinnen und Ärzte in Schleswig-Holstein führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Ein knappes Dutzend von ihnen wurde nach Angaben der Vorsitzenden des Berufsverbandes der Frauenärzte Schleswig-Holstein schon verbal und schriftlich angegriffen. Zum Beispiel werden persönlich adressierte Briefe und E-Mails mit Drohungen an die Praxen und Kliniken geschickt. Außerdem werden in der Nachbarschaft der Ärzte Flyer mit Beleidigungen verteilt.
Viele Betroffene schweigen darüber, melden solche Vorfälle nicht. Viele Gynäkologinnen und Gynäkologen im Land nehmen Abtreibungen vor, aus Angst vor Abtreibungsgegnern informieren sie darüber aber nicht aktiv. Der Verband fordert deshalb von der Politik eine Aufklärungskampagne.
"Frau soll nicht selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden"
Auch die Wedeler Frauenärztin Britta Hildebrand wird bedroht: "Da steht dann zum Beispiel drin, dass auf uns eine Bestrafung wartet. Unsere Arbeit wird aber auch mit Mord verglichen." Sie fordert, dass der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches abgeschafft wird. Der Paragraf besagt, dass in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch verboten ist und bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nur in Ausnahmen straffrei bleibt, etwa nach einer Pflichtberatung bei einer staatlich anerkannten Stelle. "Politisch fühlt es sich für mich nach wie vor so an, dass es um die Macht von Männern über Frauen geht. Die Frau soll nicht selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden", sagt Hildebrand.
Auf Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches hinzuweisen ist Risiko
Seit Anfang des Jahres wird Britta Hildebrand in E-Mails und Briefen bedroht, weil sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Das tut sie schon seit mehreren Jahren. Aber erst jetzt weist sie darauf hin. Bis Anfang des Jahres war es Frauenärztinnen und -ärzten untersagt, Patientinnen öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Es galt als Werbung.
Die Bedrohungen machen der Gynäkologin und ihrem Team zu schaffen. Gegenüber ihren Patientinnen versuchen sie sich nichts anmerken zu lassen. Den Menschen, die sie und ihre Arbeit infrage stellen und mit Bestrafungen drohen, versucht Britta Hildebrand selbstbewusst entgegenzutreten. "Wer noch nicht selber in der so entscheidenden Situation war, der kann da eigentlich nicht mitreden", sagt sie.
Berufsverband warnt vor organisierten Strukturen
Der Berufsverband für Frauenärzte rät davon ab, mit den Abtreibungsgegnern, den sogenannten Lebensrettern, in die Diskussion zu gehen. "Das sind sehr organisierte Strukturen. Da werden Adressen auf der Internetseite veröffentlicht. Es werden beleidigende Flyer in der Nachbarschaft der Praxen verteilt. Die sind auf jede logische Argumentation geschult", erklärt die Verbandsvorsitzende Doris Scharrel. Seit Jahren werden laut dem Verband radikale Abtreibungsgegner in Süddeutschland beobachtet. Inzwischen gebe es auch in Schleswig-Holstein eine Szene.
Viele haben Angst
"Wir fordern eine gemeinsame Aktion von Ärztevereinigung und Politik. Dafür stehe ich mit allen Ebenen in Kontakt. Wir müssen bessere Aufklärungsarbeit leisten", sagt Scharrel. Selbst bei internen Abfragen unter Gynäkologen habe die Hälfte der Befragten anonym auf eventuelle Abtreibungsleistungen geantwortet. Zu groß ist die Angst, öffentlich angegriffen zu werden. "Es fehlt das Vertrauen auf allen Ebenen", erklärt die Vorsitzende. So würden von 32 Gynäkologen in Flensburg 8 Abtreibungen vornehmen. Doch nur ein Arzt habe sich dafür in ein bundesweites Register eingetragen.
Praxen machen zu
Die betroffenen Frauen erfahren häufig nur über Beratungsstellen oder Mundpropaganda, an welchen Arzt oder welche Ärztin sie sich wenden können. Denn Gynäkologinnen und Gynäkologen müssen sowohl für operative als auch für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche Zusatzqualifikationen nachweisen. Hinzu kommt laut Verband, dass in den kommenden Jahren viele Praxen in Schleswig-Holstein geschlossen werden - wegen Ruhestand. Oft gebe es auch den Fall, dass die nachfolgenden Ärztinnen oder Ärzte die notwendigen Zusatzqualifikationen für Abtreibungen nicht erwerben würden. Die betroffenen Frauen sind am Ende die Leidtragenden.