Abschiebung: Gnadenlose Behörden
Es liest sich verheißungsvoll, was die rot-grünen Landespolitiker in Schleswig-Holstein vor anderthalb Jahren in ihrem Koalitionsvertrag in Bezug auf den Umgang mit Flüchtlingen festhielten: "Wir brauchen eine neue, akzeptierende Willkommenskultur, die sich auch im konkreten Verwaltungshandeln widerspiegelt. Wir werden den bundesgesetzlichen Ermessensspielraum ausschöpfen und gemeinsam mit dem Flüchtlingsbeauftragen und der Landesregierung ermessensleitende Hinweise erarbeiten." "Willkommenskultur", "Ermessensspielraum" - das klingt danach, dass in Behörden umgedacht werden, der Umgang mit Flüchtlingen verändert werden sollte.
Doch, was Familie Hakopjan im Kreis Segeberg vor zwei Wochen widerfahren ist, lässt daran zumindest Zweifel aufkommen: Die Familie, Vater, Mutter und drei Söhne, leben seit 13 Jahren in Schleswig-Holstein, zuletzt jahrelang in Nahe im Kreis Segeberg. Damals, 2001, waren die Eltern vor den bürgerkriegsähnlichen Wirren zwischen Armenien und Aserbaidschan geflohen. Ihre Kinder sind alle in Deutschland geboren, die älteren Söhne besuchen das Gymnasium, der jüngere geht in die örtliche Grundschule. Sie sprechen Deutsch und kaum armenisch, alle drei sind aktive Sportler im Verein, hier sind ihre Freunde, hier ist ihr Zuhause.
"Ihr sollt jetzt weg"
Vor zwei Wochen, kurz nach sechs Uhr morgens, bricht ihre Welt plötzlich zusammen. Es klingelt an der Wohnungstür, der mittlere Sohn öffnet die Tür. Davor stehen acht Vertreter öffentlicher Behörden, Polizei in Uniform und Zivil, ein Arzt und Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Der Junge ist erschrocken, weiß nicht was los ist, während die Gruppe die Wohnung betritt und die Eltern und Geschwister weckt. "Die haben gesagt: 'Ihr sollt jetzt weg, ihr müsst jetzt nach Armenien fliegen'", erinnert sich der zwölfjährige Erik. Bis heute verfolgen ihn die Bilder von diesem Morgen: Er sieht seinen Vater mit Kabelbindern gefesselt am Boden liegen, seine Mutter weinend zusammenbrechend.
Anwalt stoppt Abschiebung in letzter Minute
Die Familie wird in zwei Mannschaftswagen gebracht, die Mutter wird von der Familie getrennt. Sie trägt nur einen Pyjama, denn Zeit zum Anziehen hatte man ihr nicht gegeben. Dann geht es nach Hamburg, Richtung Flughafen. Erst dort, in letzter Minute, schafft es der Anwalt, die Abschiebung zu stoppen, findet einen Formfehler der Behörden. Die Familie darf wieder zurück nach Hause.
Die Ausländerbehörde in Schleswig-Holstein erklärt, eine Abschiebung der Familie Hakopjan sei rechtlich völlig korrekt. Laut einer höchstrichterlichen Entscheidung darf sie nicht in Deutschland bleiben. Die Familie hatte, wie so viele, aus Angst anfangs einen falschen Namen und eine falsche Herkunft angegeben.
Härtefallkommission überprüft die Abschiebung
Doch inwiefern rechtfertigt der richterliche Beschluss das rabiate Vorgehen der Behörden? Der Beschluss, die Familie abzuschieben, wird nun nochmals überprüft. Jetzt prüft die Härtefallkommission den Fall, am Ende wird der Innenminister Andreas Breitner entscheiden.
Die Gemeinde Nahe hat unterdessen einstimmig eine Resolution zur Unterstützung der Familie beschlossen. Der Brief soll jetzt an die Landrätin des Kreises, den Vorsitzenden der Härtefall-Kommisssion des Landes und den Anwalt der Familie gehen. Anfang April berät die Härtefallkommission über ein mögliches Aufenthaltsrecht.
Noch besteht also die Hoffnung, dass der Wunsch des elfjährigen Karen wahr wird: "Ich hatte mal so einen Traum, dass ich ein richtiger Deutscher wär. Dass ich kein Armenier wär, dass ich einfach normal ein Deutscher wär. Ja, das hatte ich mal. Und da habe ich mich so gefreut!"