VIDEO: "Wir verlieren unsere Kinder": Schulleiterin schlägt Alarm (5 Min)

Lehrerin alarmiert über Gewalt und Pornografie auf Tiktok und Co

Stand: 11.05.2023 10:38 Uhr

Eine 13-Jährige sieht sich auf der Videoplattform TikTok Schminktipps an. Auf einmal ist sie mit Kinderpornografie und Gewalt konfrontiert. Solche Erlebnisse sind für Kinder ab der 5. Klasse erschreckend normal.

von Birgit Stamerjohanns

Es fällt Ella sichtlich schwer, das zu erzählen, was sie da vor einiger Zeit auf ihrem Smartphone entdeckt hat. Die 13-jährige Schülerin der Waldschule Hatten möchte ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht wissen, und nicht einmal ihrer Mutter hat sie von dem Vorfall berichtet. "Ich habe mir bei TikTok Schminktipps angesehen und dann in der Kommentarliste ein Video angeklickt, das gerade vor wenigen Sekunden eingestellt worden war", berichtet die Schülerin. Zu sehen gab es dort allerdings keine neuen Trends bei Lippenstift oder Wimperntusche. Sondern ein Mädchen, das an einem rund einjährigen Jungen sexuelle Handlungen vornimmt. "Das Mädchen war offenbar die Babysitterin des Jungen", sagt Ella, "ich war so angeekelt, wie kann man so etwas mit einem kleinen Kind tun?"

Videos, in denen Folter, Mord und Pornografie zu sehen sind

Ella macht nach diesem Schock genau das Richtige: Sie meldet das Video, kurze Zeit später entfernt es der Anbieter der Plattform. Ihren Eltern erzählt der Teenager nichts von dem Erlebten. Wohl aber dem Lehrer, der an der Waldschule Hatten eine Sprechstunde für Social Media anbietet: Thomas Hillers. "Es kursieren massenhaft Videos in den sozialen Netzwerken, in denen Folter, Morde und Pornografie zu sehen sind und die über anonyme Adressen aus dem Ausland bei den Kindern landen", sagt der Pädagoge. Für Ella war ein weiterer Vorfall der Grund, ihren Twitter-Account zu löschen: "Ich habe über Twitter ein Video von einem anonymen Absender bekommen, da war zu sehen, wie ein Mann auf offener Straße festgehalten und ihm ein Ohr abgeschnitten wird." Ella hört die Schreie, Beschimpfungen, sieht das Blut.

Hinrichtungsvideos stammen nicht nur aus Kriegsgebieten

Ellas Schulkameradin hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "Ich war bei einer Freundin zu Besuch. Da wurde ihr ein Video geschickt, in dem einem Mann von zwei anderen die Kehle durchgeschnitten wurde." Wer verbreitet solche Videos und wie können sie in die Hände von Kindern und Jugendlichen gelangen? "Diese Art von Hinrichtungsvideos stammen nicht nur aus Kriegsgebieten, sondern sehr häufig aus dem mittelamerikanischen Raum", berichtet Thomas Hillers. Und immer wieder landen solche Inhalte eben auch auf den Smartphones von Kindern.

Handy wegnehmen hilft nicht. Reden schon

Das hinterlässt Spuren. Thomas Hillers hat erlebt, dass eine Schülerin über längere Zeit müde wirkte, blass war, sich zurückzog. Im Rahmen einer Social Media-Sprechstunde berichtete sie dann, ein Mordvideo aus einem Kriegsgebiet erhalten zu haben. Das, was sie dort gesehen hat, sorgte bei ihr für Übelkeit und Schlafstörungen. "Sie hatte das Video noch auf ihrem Handy, so dass es die Polizei sicherstellen konnte." Ziemlich aussichtslos, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Der Schülerin ging es anschließend trotzdem besser. Reden hilft eben. Allerdings werden solche Dinge nur sehr selten mit den eigenen Eltern besprochen, beobachtet Thomas Hillers: "Die Kinder haben Angst, dass die Eltern ihnen das Handy wegnehmen, das wollen sie nicht riskieren."

"Ich habe mich schon ein bisschen daran gewöhnt."

Ella und ihre Freundin würden nie aktiv nach Gewaltvideos suchen, sagen sie. Auch nehmen sie nicht an Mutproben teil, bei denen sich Jugendliche mit dem Konsum besonders grausamer Videos quasi übertreffen wollen. Aber, sagt Ella, ihr sei klar, dass sie jederzeit wieder verstörende Inhalte über soziale Netzwerke bekommen kann: "Ich will das nicht sehen, aber weil es so oft passiert, habe ich mich schon ein bisschen daran gewöhnt."

Die Schulleiterin der Waldschule Hatten, Silke Müller, hat zu diesem Thema ein Buch geschrieben. Es heißt: "Wir verlieren unsere Kinder!: Gewalt, Missbrauch, Rassismus - Der verstörende Alltag im Klassenchat".

NDR bietet Medienkompetenz-Portal für Schulen an

Die Schulleiterin Silke Müller hat den NDR bei seinem Medienkompetenzangebot einfach.Medien beraten. Es bietet Unterrichtsmaterial und Videos für Lehrkräfte zu allem rund um Journalismus, Social Media und Web. Zudem bieten Journalistinnen und Journalisten Workshops und Wettbewerbe für Schülerinnen und Schüler sowie Weiterbildungen für Lehrkräfte an. Dabei geht es unter anderem um den Alltag im Social Web, Desinformationen oder KI. 

 

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