Stand: 26.02.2020 14:56 Uhr

Sterbehilfe: Über das Ende selbst entscheiden

Hans-Jürgen Brennecke sitzt in seinem Haus in Reppenstedt am Schreibtisch. © NDR Foto: Björn Ahrend
Hans-Jürgen Brennecke erfuhr am Mittwoch zu Hause in Reppenstedt von der Entscheidung aus Karlsruhe.

Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist verfassungswidrig. So hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geurteilt. Es erklärte Paragraf 217 im Strafgesetzbuch damit für nichtig. Das Gericht leitet aus dem Grundgesetz ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch in Karlsruhe. Das Urteil wurde auch in Niedersachsen mit Spannung erwartet.

Hans-Jürgen Brennecke: ein krebskranker Mann aus Niedersachsen

Seit 2015 war die organisierte Sterbehilfe in Deutschland verboten. Gegen den umstrittenen Paragrafen 217 hatten Ärzte, professionelle Sterbehelfer und Sterbehilfe-Vereine wie die Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) geklagt. Einer, der sich von der DGHS in Karlsruhe vertreten lässt, ist Hans-Jürgen Brennecke, ein krebskranker Mann aus Reppenstedt (Landkreis Lüneburg). Er will sein Leben selbstbestimmt beenden und hat dafür gekämpft, dass das Verbot gelockert wird. Verhandelt worden war vor dem Bundesverfassungsgericht bereits im April vergangenen Jahres, heute verkündete das Gericht sein Urteil.

"Es ist mehr, als ich erwartet habe"

Für Brennecke ist es ein "wunderbares Urteil". "Es stellt alle Gestaltungsfreiheiten wieder her, die meiner Meinung nach selbstverständlich sind", sagte er dem NDR in Niedersachsen unmittelbar nach der Urteilsverkündung, die er von Zuhause in den Nachrichten verfolgte. "Es ist mehr als ich erwartet habe", so Brennecke. Schließlich sei das Gesetz komplett gekippt worden. "Es hätte auch passieren können, dass es nur kleine Veränderungen gegeben hätte." Das Urteil eröffne ihm jetzt Entscheidungsmöglichkeiten, die er vorher mit dem Paragrafen 217 nicht gehabt habe, etwa ärztliche Hilfe oder wirksame Medikamente. "Das steht uns nun zu", sagt er.

Sterbehilfe - Namen und Definitionen

Die geschäftsmäßige Sterbehilfe hat - trotz ihres Namens - erst einmal nichts mit Geld zu tun. Geschäftsmäßig bedeutet, dass eine Selbsttötung für Patienten regelmäßig und mehrmals angeboten wird. Der Terminus bedeutet also "auf Wiederholung angelegt". Aktive Sterbehilfe - also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze - bleibt auch nach dem neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verboten. Bei der sogenannten assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt - der Patient nimmt es selbst ein.

Hoffnung auf schnelle Regelungen - und schnelle Entscheidungen

"Ich möchte über mein letztes Ende selbst entscheiden - falls es nötig ist." So beschreibt Brennecke, der an einem besonders aggressiven Krebs leidet, seine Perspektive auf Sterbehilfe. Er hofft nun, dass der Gesetzgeber schnell Regelungen findet, die dann wiederum zu Entscheidungsprozessen führen könnten: "Es gibt in absehbarer Zeit einen Notausgang - und das lässt das Leiden viel besser ertragen", sagt Brennecke.

Sterbehilfevereine nicht mehr verboten

Schon jetzt ist mit dem Urteil klar: Sterbehilfevereine sind nicht mehr grundsätzlich verboten. Und der Staat darf nicht entscheiden, wann ein Leben lebenswert ist - und wann nicht. Das darf jeder Einzelne selbst bestimmen. Die Karlsruher Richter stellten aber auch klar: Der Gesetzgeber kann - zum Beispiel - eine Beratungspflicht für jene einführen, die ihrem Leben ein Ende bereiten wollen.

Sterbehelfern drohten bis zu drei Jahre Haft

Laut Paragraf 217 des Strafgesetzbuches macht sich bis dato strafbar, wer sterbewilligen Menschen geschäftsmäßig dabei hilft, aus dem Leben zu scheiden. Es drohten bis zu drei Jahre Haft. Nur Angehörige und "Nahestehende" blieben straffrei, wenn sie beim Suizid unterstützten.

Weitere Informationen
Die Mitglieder des zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle und Peter M. Huber sitzen in Roben im Gerichtssaal. © dpa - Bildfunk Foto: Uli Deck

Hilfe zum Suizid darf nicht verboten werden

Karlsruhe hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für nichtig erklärt. Staat und Gesellschaft müssen akzeptieren, wenn Einzelne nicht mehr leben wollen. Eine Analyse von tagesschau.de. extern

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 26.02.2020 | 12:00 Uhr

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