Lüneburger Professor war Teil von Missbrauchs-Netzwerk
Mit der Studie über systematischen sexuellen Missbrauch durch ein pädokriminelles Netzwerk ist auch der Professor Herbert Colla-Müller in den Fokus geraten. Wie reagiert die Leuphana Universität Lüneburg?
Der Pädagogik-Professor Colla-Müller war ein zentraler Akteur, der das Netzwerk nicht nur aufrecht erhalten hat, sondern die Strukturen auch über Lüneburg hinaus erweitert hat, heißt es in der Studie, die am Freitag vorgestellt worden war. Verschiedene Fallakten belegen demzufolge, dass der Professor ab 1975 in Adendorf bei Lüneburg eine Sonderpflegestelle betrieben hatte. Er habe selbst nacheinander mehrere männliche Jugendliche bei sich zu Hause aufgenommen und missbraucht.
Jugendämter in Lüneburg mit unrühmlicher Rolle
Ein Betroffener berichtet in der Studie, dass er von Colla-Müller sehr intim umarmt wurde und auch auf den Mund geküsst wurde. Auch mindestens eines der beiden Lüneburger Jugendämter hat laut Studie Kinder zu dem Professor geschickt. Außerdem haben offenbar die beiden Jugendämter nicht genügend hingeschaut - und auch nicht genügend hinterfragt, dass der Professor formal gar nicht qualifiziert für eine Pflege war. Colla-Müller hat bis 2009 an der Leuphana Universität als Professor gearbeitet, 2017 starb er.
Was sagt die Uni zu den Studienergebnissen?
Man sei bestürzt, heißt es an der Universität. Man habe erst durch die Studie erfahren, dass Colla-Müller offenbar eine Schlüsselfigur in dem pädophilen Netzwerk war, sagte ein Sprecher der Uni am Montag. Die Leuphana hatte den Professor nach seinem Tod noch als anerkannten Wissenschaftler, der die Sozialpädagogik an der Uni geprägt habe, gewürdigt. Die Uni will den Vorfall nun selbst aufklären. Die Leitung hofft, dass sich Betroffene bei den Ombudsstellen oder den Forschern in Hildesheim, die die Studie erstellt hatten, melden.
Landkreis Lüneburg bedauert Rolle der Jugendämter
Der Landkreis Lüneburg reagiert ebenfalls betroffen. Es sei schlimm und unbegreiflich, dass auch mithilfe von Ämtern Kinder in die Hände eines solchen Netzwerkes gegeben wurden. Die Universität Hildesheim habe man beim Erstellen der Studie bereits nach Kräften unterstützt.
Initiator des Missbrauchs: Sexualwissenschaftler Helmut Kentler
Ein bundesweites Netzwerk aus Sozialpädagogen, Behörden und Wissenschaftlern hat laut der Studie jahrzehntelang sexuelle Gewalt in der Kinder- und Jugendhilfe gedeckt. Das Netzwerk hatte sich in den 1970er-Jahren rund um den bekannten Sexualwissenschaftler Helmut Kentler aufgebaut. Kentler war der Meinung, dass pädophile Männer als Pflegeväter besser als andere Pflegeeltern geeignet seien, um sich um ihre Schützlinge zu kümmern. Dass die Männer dafür Sex wollen könnten, war für ihn kein Hinderungsgrund - vielmehr ein "wissenschaftliches Experiment", so die Studie.