Mordfall Frederike: Zwei Anklagen im selben Fall verfassungswidrig?

Stand: 24.05.2023 21:08 Uhr

Der Vater der 1981 ermordeten Frederike von Möhlmann hatte nach dem Freispruch des Beschuldigten jahrelang für ein Wiederaufnahmeverfahren gekämpft. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nun grundsätzlich damit befasst.

Der Fall der vor mehr als 40 Jahren ermordeten Schülerin aus Hambühren bei Celle ist der Anlass für das höchste deutsche Gericht, sich grundsätzlich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Mensch, der vom Mordvorwurf freigesprochen wurde, bei veränderter Beweislage ein zweites Mal im selben Fall vor Gericht gebracht werden darf. Am Mittwoch hat das Gericht erstmals mündlich darüber beraten. Bis der Senat sämtliche Argumente abgewogen hat und eine Entscheidung in der Sache trifft, dürften erfahrungsgemäß Monate vergehen.

Fall Frederike Anlass für grundsätzliche Prüfung des Gerichts

Anlass für die Befassung ist die Verfassungsbeschwerde des Tatverdächtigen Ismet H., der in den 1980er-Jahren vom Mordvorwurf an Frederike freigesprochen wurde. Aufgrund einer neueren Untersuchung von DNA-Spuren geriet er Jahre später aber wieder ins Visier der Ermittler und wurde 2022 erneut verhaftet. Kurz zuvor war ein neues Gesetz in Kraft getreten, nach dem bei schwersten Straftaten rechtskräftig freigesprochene Personen aus "dringenden Gründen" erneut angeklagt werden können - beispielsweise bei neuer Beweislage. Das Verfassungsgericht will prüfen, ob diese Neuregelung verfassungskonform ist. "Es geht nicht darum, ob der Verdächtige im Fall Frederike der Täter ist. Es geht vielmehr darum, ob die Wiederaufnahme in einem Fall wie seinem grundsätzlich möglich ist", teilte das Gericht mit.

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Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts, mit dem Schriftzug "Bundesverfassungsgericht". © picture alliance/dpa | Uli Deck Foto: Uli Deck
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Neuer Prozess gegen Tatverdächtigen war verschoben worden

Weil im Fall Frederike neue Beweise vorliegen, war vor dem Landgericht Verden ursprünglich bereits ein neuer Prozess ab dem 9. August 2022 angesetzt worden. Frederikes Vater, Hans von Möhlmann, hatte jahrelang dafür gekämpft und mit seinem Engagement Justizgeschichte geschrieben: Mit seiner Petition "Gerechtigkeit für Frederike" sammelte er 105.000 Unterschriften. Von Möhlmann starb wenige Wochen vor dem ursprünglichen Prozessbeginn im Juni 2022 - im Alter von 79 Jahren. Im Juli 2022 wurde der Prozess dann kurzfristig verschoben, weil die Richter zunächst die politischen Entscheidungen über Wiederaufnahmeverfahren bei schwersten Straftaten abwarten wollten.

Muss Ismet H. trotz Freispruchs erneut vor Gericht?

Die 17 Jahre alte Frederike aus Hambühren war 1981 bei Celle vergewaltigt und erstochen worden. Bereits damals geriet Ismet H. ins Visier der Ermittler. Doch das Gericht in Stade hatte Zweifel an seiner Schuld - 1983 wurde er vom Mordvorwurf freigesprochen. 2012 gab es in dem Fall neue Beweise durch eine DNA-Analyse, bei der Spuren des Verdächtigen an Frederikes Kleidung gefunden wurden. Durch die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2021 kann ein Verfahren gegen einen Freigesprochenen im Fall von Mord oder Verstößen gegen das Völkerrecht erneut aufgenommen werden, wenn es neue Beweise gibt. Möglich ist das aber ausschließlich bei Taten, die nicht verjähren.

"Niemand darf wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden"

Hans von Möhlmann zeigt ein Foto seiner Tochter Frederike © picture alliance/dpa Foto: Hauke-Christian Dittrich
Frederikes Vater, Hans von Möhlmann, kämpfte jahrelang für ein Wiederaufnahmeverfahren. Er starb 2022.

Die Änderung der Strafprozessordnung ist heftig umstritten. Sie steht im Kontrast zum Artikel 103, Absatz 3, des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden." So hatte etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Und auch Anwälte sagen: Dieser Grundsatz in der Verfassung schütze nicht Täter, sondern Freigesprochene. Sie sollten nicht in der Angst leben müssen, dass der alte Vorwurf erneut erhoben wird. In dem Verfahren hatte die alte Bundesregierung eine Revision nach einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren aber möglich gemacht.

Verdächtiger unter Auflagen auf freiem Fuß

Der Verdächtige befindet sich derzeit auf freiem Fuß. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Juli vergangenen Jahres einen Haftbefehl des Landgerichts Verden vom Februar 2022 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. So musste der Beschuldigte seinen Personalausweis und Reisepass abgeben. Zudem muss er sich zweimal wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft Verden melden. Ohne Erlaubnis der Staatsanwaltschaft darf er seinen Wohnort nicht verlassen. Im Dezember verlängerte das Bundesverfassungsgericht diese Anordnung. Der Verdächtige bleibt so lange auf freiem Fuß, bis die Verfassungsrichter über seine Klage entschieden haben.

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Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug «Bundesverfassungsgericht», aufgenommen vor dem Bundesverfassungsgericht. © dpa-bildfunk Foto: Uli Deck/dpa

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