Mietfrei in Hildesheim: Probebewohner ziehen erste Bilanz

Stand: 21.02.2025 21:45 Uhr

Fast sechs Monate lang hat die Stadt Hildesheim für drei Zugezogene die Miete übernommen. Dafür haben die drei mit einer frischen Perspektive dabei geholfen, Ideen zur Verbesserung der Innenstadt zu sammeln. 

von Niels Kristoph

Ein kleiner, trister Platz in der Hildesheimer Innenstadt. Ein paar Mülltonnen sind aufgereiht, dazu einige Autos geparkt - Asphalt und Beton bestimmen das Bild. Besonders in den Wintermonaten wirkt die Ecke trostlos, die Stefanie Wachsmuth morgens vor Augen hat. Der Platz liegt an ihrem täglichen Weg von der Wohnung zum Hauptbahnhof und steht symbolisch für ein Problem: "Die Hildesheimer Innenstadt ist zubetoniert", findet die 40-jährige Mutter. Sie hält nun seit fünf Monaten bereits die Augen im Stadtzentrum offen und hat den Blick für Ecken geschärft, die aus ihrer Sicht aufpoliert werden könnten - aber auch für solche, die Hildesheim besonders lebenswert machen.

Wohnen zur Probe - ein Experiment

Eine Frau sitzt an einem Tisch in ihrem Wohnzimmer und schreibt. © NDR
Zu Hause in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung muss Steffi Wachsmuth ihre Erfahrungen aus dem Alltag in ein Notizheft eintragen.

Seit Oktober vergangenen Jahres lebt Wachsmuth mit ihrer Tochter Anna im Stadtzentrum. Sie hatte zuvor vergeblich versucht, in Hannover eine Wohnung zu finden, da kam das Angebot aus Hildesheim gerade recht. Gesucht wurden drei Personen aus fremden Städten. Die Idee dahinter: Die Stadt zahlt ihnen sechs Monate lang die Miete, im Gegenzug sollen sie dabei helfen, das Stadtzentrum attraktiver zu machen. Konkret bedeutet das für die drei Neuen aus Hannover und Hamburg: Hausaufgaben. In kleinen Notizheften wurden Fragen zur Lebensqualität der Stadt beantwortet: Wo ist es schön, laut, dreckig oder wo halte ich mich gerne auf? Die Antworten sollen der Stadt Hildesheim dabei helfen, den Strukturwandel der Innenstadt zu gestalten.

Wandel der Innenstädte

Diese Herausforderung scheint groß. In vielen Städten Deutschlands stehen Geschäfte leer. Die City als alleiniger Shopping-Mittelpunkt hat offenbar ausgedient. In Hannover beschäftigt die Diskussion, wie eine Innenstadt zukunftsfähig entwickelt werden kann, bereits seit Jahren die Politik. Die Stoßrichtung scheint klar: Viele Verbraucher in Deutschland wünschen sich laut einer Statista-Umfrage einen Mix aus Einkaufen, Wohnen, Arbeit, Gastronomie und Freizeitgestaltung sowie mehr Aufenthaltsqualität. Rund 86 Prozent der Befragten wollen mehr Grün in der Innenstadt. Für 69 Prozent sollte auch das Thema Wohnen eine größere Rolle spielen. Auch wegen dieser Entwicklung hatte die Stadt Hildesheim im vergangenen Jahr einen Bürgerdialog gestartet.

Weniger Asphalt - mehr Grün

Eine Frau sitzt auf einer Bank in der Hildesheimer Innenstadt © NDR Foto: Niels Kristoph
Miriam Eckert von der Stadt Hildesheim hofft auf neue Erkenntnisse für eine lebenswerte Innenstadt.

Neben Fachleuten wurden in den vergangenen Monaten auch Bürgerinnen und Bürger zur Zukunft der Innenstadt befragt. Das Probewohnen ist ein weiterer Baustein dieses Bürgerdialogs. Für die Mieten der drei Testbewohner zahlt die Stadt einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Eine Investition, die sich auszahlen soll. "Uns war wichtig einen Blick von außen zu bekommen, von Menschen, die bisher noch nicht in Hildesheim gewohnt haben", sagt die Wohnungsmarktkoordinatorin Miriam Eckert. Noch ist das Projekt nicht ganz abgeschlossen. Aber schon jetzt scheinen die Probebewohner und andere befragte Hildesheimer einer Meinung zu sein: Die Innenstadt brauche mehr grüne Ecken, mehr Möglichkeiten sich in der Innenstadt zu erholen, so Eckert. Abhilfe schaffen könnten da sogenannte "Stadtwohnzimmer" - Treffpunkte auf der Straße mit Sitzmöbeln und Pflanzen.

Hildesheim - die neue Heimat

Das kann sich die Probebewohnerin auch für den Parkplatz in ihrer Nachbarschaft gut vorstellen. Wenn es um die Umsetzung geht, sei sie auch bereit selbst mit anzupacken. "Ich konnte in den vergangenen sechs Monaten auch viel Schönes und Liebenswertes in der Hildesheimer Innenstadt entdecken", sagt sie. Im März ist das Wohn-Experiment vorbei. Ob die beiden anderen Teilnehmer auch danach in Hildesheim bleiben, ist noch ungewiss. Für Stefanie Wachsmuth steht jedoch fest: Hildesheim ist ihre neue Heimat. In der Dreizimmerwohnung wird sie deswegen wohnen bleiben - die Miete zahlt sie dann natürlich selbst.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 21.02.2025 | 19:30 Uhr

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