Plastikmüll: Gefährliche Selbstentzündungen
Es sind Bilder, die selbst erfahrenen Feuerwehrmännern Angst machen: Tonnenweise gestapelte Kunststoffverpackungen brennen in einer Lagerhalle auf einem Recyclinghof, der Rauch pechschwarz und giftig. Vier Tage dauert es, bis der Brand in Stedum bei Peine in Niedersachsen gelöscht ist. Mehr als 100 Feuerwehrmänner waren im Einsatz. Tag und Nacht. Das war Mitte September 2013.
Immer wieder kommt es in Norddeutschland zu verheerenden Bränden auf Recyclinghöfen. Offenbar unterschätzen Betreiber das Brandrisiko bei der massenhaften Lagerung von alten Kunststoffverpackungen. Die sind oft nicht sauber, sondern verunreinigt mit Lebensmittelresten. Ein Nährboden für Mikroorganismen. Diese lassen die Temperatur in den Verpackungsbergen auf bis zu 80 Grad ansteigen. Bei solchen Temperaturen kommt es zu weiteren chemischen Prozessen, die wiederum Wärme produzieren. So kann es schließlich zur Selbstentzündung kommen. Nach einer Studie des Bundesinstituts für Materialforschung ist Selbstentzündung eine der Hauptursachen für Brände großer Recycling-Lager.
Versicherungs-Experte: Lagerrichtlinien werden nicht eingehalten
Für die Betreiber von Recyclinghöfen gelten eigentliche klare Vorschriften. In Brandschutzrichtlinien haben Länder festgelegt, wie gelagert werden soll und was für Löscheinrichtungen vor Ort vorhanden sein müssen. So ist die Größe der Lagerabschnitte begrenzt, deren Höhe und eine Trennung der einzelnen Abschnitte durch Wände oder durch freie Flächen geregelt. Aufgeschüttete Recyclinghaufen dürfen nicht höher als 5 Meter sein. Denn je größer die Kunststoffberge, desto höher das Brandrisiko.
Hans-Hermann Drews vom Institut für Schadensverhütung in Kiel gibt zu bedenken, dass die Lagerrichtlinien nicht immer eingehalten und vorgeschriebene Lagermengen immer wieder überschritten würden. Hinzu kommt, dass die Richtlinien nicht gelten, wenn neben Plastikverpackungen noch andere Stoffe gelagert werden. Im niedersächsischen Sozialministerium, dem die Gewerbeaufsicht untersteht, hieß es auf Anfrage, man werde die Berichterstattung von Panorama 3 genau verfolgen und überprüfen, ob die existierenden Richtlinien ausreichend seien. In erster Linie seien allerdings die Betreiber für den Brandschutz verantwortlich, so Ministeriumssprecher Uwe Hildebrandt.
Lüneburg: Acht Brände seit 2005
Einige Recyclinghöfe fallen durch wiederholte Brände immer wieder auf. Allein auf der Anlage der Firma Zajons in Melbeck bei Lüneburg hat es zwischen 2005 und 2012 achtmal gebrannt. Die Firma selbst hat ein Interview zu den Bränden abgelehnt und auch unsere schriftlichen Fragen nicht beantwortet. Der für den Brandschutz zuständige Landkreis Lüneburg bestreitet eine Mitverantwortung für das Großfeuer in Melbeck und teilt mit: "Ein Brand mit diesem Schadensausmaß (…) war nicht vorhersehbar." In Zukunft würde man ein derartiges Lager dort so nicht mehr genehmigen.
Anwohner in Melbeck sind verunsichert und haben eine Bürgerinitiative gegründet. Sie werfen den Behörden vor, im Fall Zajons nicht schnell genug gehandelt und nicht umfassend informiert zu haben. Die Anwohner fragen sich: Warum konnte es dazu kommen, dass es in einem Betrieb so oft brennt?
Tote Fische: Umweltschäden groß
Die Umweltschäden, die durch Brände auf Recyclinghöfen entstehen, können immens sein. Nach dem Brand in Stedum sind durch das abfließende Löschwasser zwei Seen umgekippt.Hunderte Tote Fische schwammen an der Oberfläche. Die Anwohner sagen, der See sei faktisch tot. Vögel, Enten und andere Tiere seien verschwunden.
In Nienburg/Weser hat ein Feuer im Juni dieses Jahres den Betreiber zum Handeln bewegt. Auch hier war die Brandursache Selbstentzündung. Das Feuer zerstörte eine Lagerhalle mit Recyclingmaterial bis auf die Grundmauern, 330 Feuerwehrleute konnten ein Übergreifen auf andere Lagerhallen gerade noch verhindern. Der Stadtbrandmeister von Nienburg/Weser Wilhelm Schlemermeyer sagt: "Man muss jederzeit damit rechnen, dass sich diese Stoffe selbst entzünden."
Guter Brandschutz kostet Geld
Der Leiter des Recyclinghofes Frido Dieckmann hat umfangreiche Maßnahmen angekündigt, um das Brandrisiko einzudämmen. Das bedeutet in der Praxis: Genügend Löschwasser, als Feuerwehrmänner ausgebildete Mitarbeiter vor Ort und ein technisches Feuerwarnsystem. Zudem sollen die einzelnen Lagereinheiten kleiner und mit hohen Brandschutzwänden voneinander getrennt werden. "Dann brennt nur ein kleiner Bereich und wir können das Feuer schneller bekämpfen", ist sich Frido Dieckmann sicher. Damit tut der Landkreis Nienburg als Betreiber der Anlage mehr, als vorgeschrieben ist.