Arbeitsplatz buchen statt fester Schreibtisch - Ist das die Zukunft?

Stand: 20.08.2023 19:30 Uhr

Mit Corona ist das Homeoffice endgültig in der Arbeitswelt angekommen. Zur flexiblen Arbeit der "New Work"-Idee gehört mittlerweile auch, dass sich bei Unternehmen wie TUI Mitarbeitende ihre Arbeitsplätze buchen.

Wie sinnvoll das ist, erklärt Arbeits- und Organisationspsychologe Jonas Brüggemann vom Institut für Psychologie der Uni Osnabrück im Interview mit NDR Niedersachsen.

Immer mehr Unternehmen stellen derzeit auf Modelle um, bei denen Mitarbeitende keine festen Arbeitsplätze haben, sondern sich einen Platz buchen müssen - ist das nur eine Mode? Oder die Zukunft der Arbeit?

Jonas Brüggemann: Zunächst kann man sagen, dass diese Entwicklung in der Form der Zusammenarbeit nicht komplett neu ist. Einsparungen und Flexibilisierung von Büroflächen sind seit Anfang der Nullerjahre ein wiederkehrendes Thema in der Management-Literatur. Zudem haben bereits vor mehr als zehn Jahren Unternehmen Modelle aufgegriffen, um die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeitenden zu flexibilisieren. Die Kernidee dieser Modelle, wie zum Beispiel die Buchung von Arbeitsplätzen (auch "hotelling" genannt), besteht darin, Arbeitsplätze nicht Personen, sondern Aktivitäten zuzuordnen. Man könnte also auch behaupten, dass diese Form der Arbeit bereits die Gegenwart ist.

Ein Portrait von Jonas Brüggemann. © Universität Osnabrück/Elena Scholz Foto: Elena Scholz
Arbeits- und Organisationspsychologe Jonas Brüggemann lehrt und forscht an der Uni Osnabrück.
Psychologe: "Corona hat Arbeitswelt flexibilisiert"

Es stimmt aber natürlich auch, dass die Relevanz entsprechender Modelle durch die Covid-19-Pandemie einen enormen Aufwind erfahren hat. Die Erfahrungen mit dem Thema Homeoffice waren zwar gemischt, aber dennoch überwiegend positiv. Viele Mitarbeitende wollten in der Zeit unmittelbar nach der Pandemie nicht zurück in die Büros, in der Angst, die neugewonnene Flexibilität wieder zu verlieren. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gibt es Anzeichen, dass die Arbeit im Homeoffice nicht wie häufig erwartet zu einer geringeren Produktivität der Mitarbeitenden führt, eher das Gegenteil ist der Fall. Entsprechend kann es auch für Unternehmen vielversprechend sein, ihren Mitarbeitenden ein höheres Maß an räumlicher Flexibilität einzuräumen. Gleichzeitig bietet sich den Unternehmen so die Möglichkeit, vorhandene Büroflächen einzusparen oder anders zu nutzen. Dies kann mit Kostenersparnissen einhergehen und die Umwelt schützen. Es ist also denkbar, dass Modelle ohne fest zugewiesene Arbeitsplätze in Zukunft häufiger zu sehen sein werden. Die Nachhaltigkeit dieser Modelle wird sich allerdings erst noch beweisen müssen.

Was macht das mit der Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten?

Brüggemann: Der Zugewinn an Flexibilität kann zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führen. Gründe können zum Beispiel in einem höheren Autonomiegefühl der Beschäftigten liegen. Eine weitere Erklärung bietet die Theorie des psychologischen Vertrags. Danach interpretieren manche Mitarbeitende den Gewinn an Flexibilität als Zugeständnis des Unternehmens und "bedanken" sich zum Beispiel mit einer höheren Arbeitszufriedenheit. Letztendlich muss man jedoch vorsichtig sein, diese positiven Effekte auf die Arbeitszufriedenheit zu pauschalisieren, da diese von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängen.

Und wie sieht es mit der Motivation und Effektivität aus?

Brüggemann: Auch hier kann ein höheres Maß an Flexibilität Mitarbeitende motivieren, weil es ihr Autonomiestreben anspricht. Doch Arbeitsplatz-Flexibilität stellt lediglich eine von vielen Facetten der Arbeitsgestaltung dar und sollte immer auch im Zusammenhang mit weiteren Aspekten wie etwa der Aufgabengestaltung gesehen werden. Hinsichtlich der Effektivität von flexiblen Arbeitsplätzen kann bislang kein abschließendes Urteil getroffen werden. Vielmehr geht es hier um das "Wie" in der Gestaltung als um das "Was". Die Implementierung innovativer Bürokonzepte führt also nicht automatisch zu positiven Ergebnissen.

Es ist ebenso relevant, die Mitarbeitenden frühzeitig in solch große Veränderungen kontinuierlich mit einzubeziehen. Weiterhin ist es wichtig, dass neue Arbeitsformen nicht eingeführt werden, weil sie neu sind, sondern weil sie die Bedürfnisse der Mitarbeitenden besser abdecken können. Dann können Maßnahmen zur Erhöhung der Flexibilität auch zu einer gesteigerten Effektivität beitragen.

Welche Ängste und womöglich Kollateralschäden sind denkbar?

Brüggemann: Entscheidungen, die ohne Einbindung der Beschäftigten "von oben nach unten" durchgesetzt werden, führen meist nicht zu den gewünschten positiven Effekten. Denn sie verändern nicht unbedingt das tatsächliche Verhalten der Beschäftigten im Büro, sondern lediglich die Strukturen, in denen sich die Beschäftigten bewegen. Eine häufig geäußerte Angst von Beschäftigten ist die fehlende Möglichkeit zur Personalisierung des Arbeitsplatzes. Flexible Bürokonzepte sind häufig mit "clean-desk" Richtlinien verbunden, bei denen der Arbeitsplatz am Ende des Tages wieder vollständig geräumt werden muss. Insbesondere bei einem Wechsel von festen hin zu flexiblen Arbeitsplätzen kann man beobachten, dass die Beschäftigten den Verlust des eigenen Schreibtisches stärker empfinden als den Gewinn der Flexibilität. Teilweise ist dabei eine fast paradoxe Haltung festzustellen, bei der sich Beschäftigte eine Flexibilisierung ihres Arbeitsplatzes zwar wünschen, den eigenen festen Arbeitsplatz allerdings nicht aufgeben möchten.

Wissenschaftler Brüggemann: "Auch Stillarbeit muss möglich sein"

Bei flexiblen Bürokonzepten spielt zudem die Geräuschkulisse häufig eine wichtige Rolle. In der Planung solcher Konzepte sollte also zum Beispiel darauf geachtet werden, dass genug Arbeitsplätze zur Stillarbeit erhalten bleiben, um auch längeres konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. Eine weitere, damit zusammenhängende Schwierigkeit entsteht, wenn die Arbeitsphasen von Mitarbeitenden während eines Arbeitstags sehr unterschiedlich sind. Während der Vormittag möglicherweise durch Stillarbeit geprägt ist, kann der Nachmittag vornehmend durch Konferenzen bestimmt sein. Diese verschiedenen Arbeitsphasen stellen unterschiedliche Anforderungen an die Bürogestaltung und sollten entsprechend bei der Einführung eines Buchungssystems mitgedacht werden.

Für welche Unternehmen kann dieses Konzept sinnvoll sein?

Brüggemann: Insbesondere Tätigkeiten mit einem hohen Maß an Kreativität und Koordinationsaufwand innerhalb des Teams bieten sich an, da sie eher von neu gestalteten Konferenz- und Kollaborationsräumlichkeiten profitieren. Für zentrale Funktionsgruppen in der Personal- und Marketingabteilung oder auch in der Forschung & Entwicklung bieten flexible Arbeitsplatzmodelle also häufig Potenzial. Für Unternehmen, in denen beispielsweise Flexibilität und flache Hierarchien schon jetzt in der Kultur widergespiegelt werden, fällt es womöglich leichter, eine solche Veränderung in der Arbeitsplatzgestaltung umzusetzen als für Firmen mit einer sehr traditionellen und auf Stabilität geprägten Unternehmenskultur.

Gibt es auch Unternehmen, für die das Konzept keine gute Option ist?

Brüggemann: Wie zuvor erwähnt spiegelt eine Flexibilisierung in der Arbeitsplatzgestaltung auch einen Kulturwandel in Form des Aufbrechens hierarchisch geprägter Strukturen wider. Alle Mitarbeitende haben die Möglichkeit, sich einen Arbeitsplatz zu buchen. So kann es dazu kommen, dass Führungskräfte nicht mehr allein ein Büro zur Verfügung haben, sondern mit Mitarbeitenden der eigenen oder aber auch anderen Abteilungen in geteilten Büroräumen sitzen. Für Unternehmen mit sehr starren Strukturen wäre eine solches Konzept also mit einer enormen Kraftanstrengung verbunden, die jedoch auch eine Chance für Weiterentwicklung sein kann. Insgesamt muss die Entscheidung für flexible Arbeit gut und ganzheitlich abgewogen werden.

Die Fragen stellte Marc Wichert von NDR.de

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Hallo Niedersachsen | 20.08.2023 | 19:30 Uhr

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