Weitere Dämonenaustreibung in Arztpraxis
Bastian Melcher wollte nicht mehr länger schwul sein. Schon seit Jahren hatte er vergeblich versucht, mit Hilfe von Gebeten und Seminaren heterosexuell zu werden. In seiner evangelischen Freikirche in Bremen war ihm immer wieder gesagt worden, dass Homosexualität Sünde sei. Doch all seine Versuche, endlich Frauen statt Männer attraktiv zu finden, waren bislang gescheitert.
Bastian war verzweifelt. "Ich habe oft darüber nachgedacht, von irgendeiner Brücke zu springen, mich von irgendeinem Hochhaus zu stürzen", erinnert er sich. "Ich saß auch schon auf meinem Bett mit einem Messer an meinen Pulsadern und wollte einfach nicht mehr leben."
Der heute 26-jährige Bastian bekam in seiner Gemeinde schließlich den Rat, wegen seiner Homosexualität den Arzt Dr. Arne Elsen aufzusuchen. Der Arzt ist gläubig, hält in freien Gemeinden regelmäßig sogenannte "Heilungsdienste" ab - aber eigentlich arbeitet er als niedergelassener Diabetologe in Hamburg.
Dämonenaustreibung in der Arztpraxis
Auch ich hatte vergangenes Jahr einen Termin in der Praxis bei Dr. Elsen. Ich bin Reporter beim NDR und selbst schwul. Damals hatte ich recherchiert, ob es in Deutschland Ärzte gibt, die Homosexualität für therapierbar halten und entsprechende Therapien anbieten. Ich hatte mich als normaler Patient ausgegeben, um herauszufinden, was er zu meiner Homosexualität sagt.
Was ich bei Dr. Elsen im Sprechzimmer erlebt habe, ist für mich bis heute unglaublich: Er betete während der Sprechstunde für mich und versuchte, mir Dämonen auszutreiben, die der Grund für meine Homosexualität seien. Er glaubte sogar an einen Erfolg seiner Dämonenaustreibung: Er habe eine Wolke gesehen, und mindestens ein Geist habe meinen Körper verlassen, so Dr. Elsen. Davon hatte ich nichts bemerkt.
Dr. Elsen behauptet bis heute, meine Schilderungen seien nicht wahr. Er sehe Homosexualität gar nicht als Krankheit an und wolle Schwule auch nicht heilen. Doch Bastian Melchers Schilderungen zeigen, dass ich offenbar nicht der einzige bin, der in der Praxis von Dr. Elsen solche Dinge erlebt hat.
Bastian Melcher bekam 2010 und 2011 mehrere Termine bei Dr. Elsen in der Praxis. Zunächst habe er aus Scham nur von seinen Rückenschmerzen erzählt, sagt Bastian. Gemeinsam mit einer Helferin habe Dr. Elsen daraufhin versucht, mit Gebeten böse Dämonen auszutreiben. Dr. Elsen habe währenddessen behauptet, aus Bastians Rücken sei schwarzer Rauch aufgestiegen, sagt Bastian. Dämonische Mächte hätten ihn nun verlassen, so Elsen.
Schwarzer Stachel aus dem Rücken
"Dann sagte die Frau, dass sie sieht, wie ein großer schwarzer Stachel aus meinem Rücken kommt", erinnert sich Bastian. Das habe Dr. Elsen bestätigt: "Er hat gesagt, dass der Stachel aus meinem Rücken raus und dann an der Seite weggekrochen ist", so Bastian.
Schließlich habe Bastian Melcher doch von seiner Homosexualität erzählt. Daraufhin habe Dr. Elsen erklärt, dass die Homosexualität die Ursache für seine Dämonen und damit auch für sein Rückenleiden sei. Dr. Elsen habe zu ihm gesagt, dass die Dämonen jetzt ausgefahren seien, erzählt Melcher. Dadurch könne er die Befreiung erleben, "dass sich meine homosexuellen Gefühle mit der Zeit in heterosexuelle Gefühle umwandeln, und dass ich dann eben auch feststelle, dass ich Frauen attraktiv finde."
Bundesärztekammer warnt vor Veränderungsversuchen
Doch nichts davon trat ein. Stattdessen erlebte Bastian Melcher seine persönliche Befreiung: Er war sich nun sicher, dass eine Veränderung der sexuellen Orientierung nicht zu schaffen ist. Er beschloss, von nun an offen als schwuler Mann zu leben und sich dabei nicht mehr schlecht zu fühlen. Der Weltärztebund und die Bundesärztekammer erklären immer wieder, dass angebliche Therapien zur Änderung der sexuellen Orientierung unwirksam seien. Sie warnen sogar vor solchen Versuchen, da sie gesundheitliche Schäden bis hin zu Suiziden verursachen könnten.
Abgerechnet über die Krankenkasse
Bastian hat inzwischen bei seiner Krankenkasse die Abrechnungen von damals angefordert. Die Unterlagen zeigen, dass Dr. Elsen mindestens einen der Folgetermine mit Bastians gesetzlicher Krankenkasse abgerechnet hat. Bei diesen Terminen habe Dr. Elsen für die Befreiung von seiner Homosexualität gebetet, sagt Bastian Melcher.
Die Kasse SBK teilt dem NDR auf Anfrage mit, dass eine Behandlung durch Dr. Elsen tatsächlich abgerechnet worden sei - und zwar als normale Hausarztversorgung. Als Kasse wisse man aber grundsätzlich nicht, was tatsächlich im Sprechzimmer geschehe. Dr. Elsen ließ über seinen Anwalt ausrichten, dass er unsere Fragen zu den neuen Recherchen nicht beantworten will.
Und die Ärztekammer Hamburg hatte nach meinem ersten Film zunächst Ermittlungen gegen Dr. Elsen eingeleitet. Inzwischen wurde das Verfahren aber wieder eingestellt, weil ihr der Film als Beweis nicht ausreicht. Zu unseren neuen Recherchen wollte die Ärztekammer sich nicht äußern, will den Fall aber prüfen.