Stand: 18.01.2020 18:55 Uhr

Hamburg damals: 100 Jahre Steenkampsiedlung

Historisches Foto der Steenkampsiedlung: Eine Gruppe Männer posiert mit Werkzeug. © NDR Foto: NDR
Arbeiten auf dem ehemaligen Brachland. Mittlerweile ist die Siedlung 100 Jahre alt.

Neuen Wohnraum für Arbeitende und Angestellte zu schaffen, war die Vision des Altonaer Stadtplaners Gustav Oelsner. Das Projekt Steenkamp im Nordwesten von Hamburg-Bahrenfeld hatte bereits 1914 begonnen und musste während des Ersten Weltkriegs ruhen. Danach war Wohnraum knapper denn je. Anschließend arbeiteten mehr als 200 Baufirmen auf dem Brachland. Und obwohl Baumaterialien knapp waren, war die Siedlung im Spätsommer 1920 bereits auf 500 Wohnungen angewachsen. Nach dem englischen Vorbild der Gartenstadt verfügte jedes Haus über ein großes Grundstück.

Anwohnende ernähren sich selbst

"Am Anfang waren das ein paar Obstbäume, die noch sehr klein waren, aber der ganze Garten wurde umgegraben, und dann pflanzte man da Bohnen, und wenn die Bohnen langsam wuchsen, dann wurde da schon Grünkohl zwischen gepflanzt, Kartoffeln hatte man, also, man hat sich hier am Anfang eigentlich selbst ernährt", sagt Horst Henze, der in der Steenkampsiedlung geboren ist.

Mieter und Mieterinnen verstehen sich als Gemeinschaft

Durch unterschiedliche Häusertypen und ein abwechslungsreich angelegtes Straßennetz entstand der Eindruck einer gewachsenen Siedlung. In drei Bauabschnitten bis 1926 wurden etwa 670 Einfamilienhäuser und 92 Mehrfamilienhäuser fertiggestellt. Der Vermieter bezog die Räume über der Gaststätte "Lindenkrug": die 1923 neu gegründete SAGA. Die Mieterinnen und Mieter selbst verstehen sich von Anfang an als starke Gemeinschaft und organisieren sich seit 100 Jahren in der "Heimstättervereinigung Steenkamp".

Feste und Tanzveranstaltungen

Historisches Foto der Steenkampsiedlung: festlich gekleidete Kinder laufen durch eine Straße. © NDR Foto: NDR
Immer was los in der Steenkampsiedlung: Festlich gekleidete Kinder laufen durch eine Straße.

"Jedes Jahr gab es ein Sommerfest, da gab es Tanz in den Mai, das war im Steenkamp-Saal, dann gab es meistens noch das Oktoberfest, Ende des Jahres kam der Laternenumzug, das wurde alles immer von dieser Heimstättenvereinigung organisiert. Man hat die Gärten geschmückt mit bunten Girlanden und Laternen und all so was", erinnert sich Horst Henze.

Ein Leben lang Steenkamper

Horst Henze wurde hier 1933 als Kind von Gemüsehändlern geboren. Seine Frau Karin ist seit 1958 Steenkamperin. In seiner Kindheit war das Wohnzimmer noch ein Verkaufsraum: "Dann hatte meine Mutter hier, wo wir jetzt sitzen, einen Gemüseladen, wo sie dann Gemüse verkauft hatte, und er zog mit seinem Wagen hier durch die Gegend. Ein paar Jahre später hatte er dann ein Pferd, das erinnere ich auch noch, weil wir hinten den Pferdestall hatten, wenn er das abends zur Weide brachte, dann durfte ich da drauf sitzen, da war ich glaube ich fünf Jahre alt."

Autos und Fernseher ersetzen Gemüse und Kleinvieh

Ein Haus in der Steenkampsiedlung. © NDR Foto: NDR
Viel ist passiert in den vergangenen 100 Jahren. Und so sieht die Steenkampsiedlung heute aus.

Den Zweiten Weltkrieg hat die Siedlung fast ohne Bombeneinschläge überstanden. Nach und nach verschwanden Gemüse und Kleinvieh aus den Gärten. Stattdessen kamen Autos und Fernseher. Der Zustand der Häuser allerdings verschlechterte sich im Laufe der Jahrzehnte zusehends. Bis sich im Jahr 2002 die Struktur der Siedlung grundsätzlich änderte. "Die Reparaturkosten wären der SAGA wahrscheinlich zu hoch gewesen, und da ist sie dann auf die Idee gekommen, das zu verkaufen, aber sie durfte das nicht einfach so verkaufen, sondern die Mieter hatten Vorkaufsrecht", sagt Horst Henze. Das sei allerdings ein Vorteil gewesen.

Oase in der Großstadt

Seitdem wurden fast 2/3 der Häuser verkauft - an Mieterinnen und Mieter und junge Familien, die die Häuser im Bieterverfahren zu immer höheren Preisen ersteigern und meist vor Einzug kernsanieren. Ehemals günstiger Mietwohnraum ging damit verloren. Aber das Gemeinschaftsgefühl der Siedlung sei eher gewachsen, meint Jan Meybek, der schon als Kind hier lebte: "Noch haben wir hier ja Mieter in der Siedlung und teilweise auch sozial schwächere Mieter. Das ist aber auch gut, weil so ein kleines Dorf kann das mittragen. Sie werden miteinbezogen, das ist noch immer ein Miteinander, das spaltet sich nicht auf." Und so hat die Vision von Gustav Oelsner die ersten 100 Jahre überstanden - als grüne nachbarschaftliche Oase in der Großstadt.

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Blick in das Kehrwiederviertel mit Brooksbrücke vor dem Bau der Speicherstadt um 1883 © Archiv Speicherstadtmuseum

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 18.01.2020 | 19:30 Uhr

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