Bertelsmann jagt Adressen von Minderjährigen
Das Prinzip ist immer gleich: Der Klassenlehrer verteilt Gutscheinkarten. Die Kinder reichen diese Karten an ihre Eltern weiter, lassen Anschrift und Telefonnummer eintragen und geben die ausgefüllte und unterschriebene Karte wieder beim Lehrer ab. Der übermittelt die Gutscheine an Vertriebsunternehmen des Bertelsmann-Konzerns. Als nächstes bekommt die Schule einen Klassensatz kostenloser Bücher der Marken "Duden" oder "Brockhaus."
Lukrative Adressdaten der Schüler
Doch warum verschenkt Bertelsmann an zahlreichen Schulen im Norden Bücher? Marco Maas von der Organisation Lobbyplag hat sich mit den Methoden von Bertelsmann beschäftigt. Er erkennt eine klare Strategie hinter den kostenlosen Buchgeschenken: "An diesen Gutscheinaktionen sind Werbevertriebsfirmen beteiligt, die eigentlich nichts anderes machen, als Adressen zu generieren, die dann abtelefoniert werden, um darüber Dinge zu verkaufen. Ich glaube, die wenigsten Eltern sind sich darüber bewusst, dass hier auf Jahre und Jahrzehnte Daten von den Kindern gespeichert werden."
Angeblich geht es um die Bildung der Kinder
Erst nachdem sie das vermeintlich kostenlose Buchgeschenk erhalten haben, wird vielen Eltern bewusst, welchen Preis sie dafür bezahlt haben. Häufig folgen Anrufe durch Vertriebsmitarbeiter oder sogar Hausbesuche, bei denen versucht wird, weitere Bücher oder interaktive Angebote aus dem Bereich "Wissen" zu verkaufen. Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang ein Argument auf: Es gehe ja um die Bildung der Kinder. Eine Mutter berichtet gegenüber "Panorama 3", dass eine Vertriebsmitarbeiterin der Bertelsmann-Tochter InmediaOne GmbH im Verkaufsgespräch immer wieder auf Lern-Probleme hingewiesen habe, die ihre Kinder bekommen könnten, sollte sie die entsprechenden Produkte nicht kaufen.
Auf Nachfrage bestätigt Bertelsmann, dass die Daten von einem Dienstleister erhoben und gespeichert würden. "Wir stellen sie dann unseren Verlagspartnern im Betrieb zur Verfügung, die die potenziellen Kunden kontaktieren und ihnen Produkte vorstellen." Und weiter: "Unser Geschäft ist der persönliche Verkauf von Bildungsangeboten. Wir halten uns dabei an Recht und Gesetz."
Schulen sind sich häufig keiner Schuld bewusst
Wie lukrativ der Deal mit den Daten ist, beschreibt ein ehemaliger Mitarbeiter von InmediaOne. Viele Jahre hat er Artikel wie den "Brockhaus" an der Haustür vertrieben. "Wenn ich eine Adresse am Markt kaufe, kostet die bei einem Adresshändler 15 bis 20 Euro. Wenn ich an eine Schule gehe und hab da 600 Schüler, ist natürlich wesentlich günstiger, als die Adressen zu kaufen. Das Ganze ist eine Werbetrommel, die kaum Geld kostet." Die Schulen sind sich häufig keiner Schuld bewusst. Ihnen ist meist nicht klar, dass sie zu Datenhändlern gemacht werden und welche Intention die beteiligten Unternehmen mit den Gutscheinkarten verfolgen.
Werbeaktionen trotz Behördenverbot
In Niedersachsen und Bayern etwa haben die Kultusministerien daher bereits reagiert. Per Erlass haben sie verordnet, dass die Schulen die Gutscheinkarten nicht mehr verteilen dürfen. Auch bei der Schulbehörde in Hamburg ist die Aktion seit Jahren bekannt. Auf Nachfrage heißt es, man habe die Lehrerinnen und Lehrer bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei um Werbung handele und dies an Schulen verboten sei.
Recherchen von "Panorama 3" zeigen jedoch, dass in Hamburg offenbar immer noch im großen Stil mit Büchergutscheinen an Schulen auf Datenjagd gegangen wird. Im Interview zeigte sich ein Mitarbeiter der Behörde darüber überrascht. Er kündigte an, die Schulleitungen noch einmal gezielt anzuschreiben und es ihnen strikt zu untersagen, solche Gutscheinaktionen in Hamburger Schulen durchzuführen.