Beckmann: "Sie hatte eine Bescheidenheit für das Glück"
"Aenne und ihre vier Brüder" heißt das anrührende, bewegende Buch von Reinhold Beckmann über seine Mutter Aenne und ihre Brüder Hans, Franz, Alfons und Willi. Alle vier sind im Zweiten Weltkrieg gefallen.
Aenne wuchs zwischen den Weltkriegen in Wellingholzhausen im Osnabrücker Land auf. Der Glaube, die katholische Kirche prägte das Leben. Ein wichtiger Teil des Buches sind die Feldpostbriefe der Brüder.
In den Briefen wird etwas überraschend fast gar nichts vom Kriegsgeschehen erzählt ...
Reinhold Beckmann: Eine richtige Beobachtung. Das hat mich auch überrascht, bis mir klar wurde, die wussten genau, dass Briefe gecheckt werden. Nein, es taucht aber bei Franz immer wieder dann so eine Formulierung auf: Wann hört dieser Schwindel endlich auf? Er formuliert am mutigsten von allen.
Schwindel war wahrscheinlich schon ein gefährliches Wort?
Beckmann: Ja, das war schon ein gefährliches Wort und ging ja auch noch weiter: Du glaubst ja gar nicht, wie es hier zugeht, was hier los ist und so weiter. Bei Hans ist das anders. Hans war ein bisschen ehrgeizig, hatte sich verpflichtet, wurde Unteroffizier und glaubte sozusagen, dass das beruflich für ihn der richtige Weg sei, um seine Familie, die er in der Nähe von Leipzig gegründet hatte, zu ernähren.
Fast so ähnlich, als wenn heute jemand zur Bundeswehr geht. Es ist einfach eine Möglichkeit …
Beckmann: Eine Möglichkeit, genau. Und Alfons, das ist der dritte. Die Sprache von Alfons veränderte sich vom ersten Tag an, als er in Russland ist. Alfons hat, bis er dann am 24.12.1942 in Stalingrad fällt, zwei Jahre das eigene zu Hause nicht gesehen.
Es "fällt quasi kein Schuss" in den Briefen. Das heißt ja auch, es ist nichts von Kriegsbegeisterung, von Hurra oder so, bei den Brüdern ihrer Mutter zu lesen ...
Beckmann: Ja, deshalb sind mir meine Onkel auch ein bisschen näher ans Herz gerückt. Es sind einfache Menschen vom Land, die aus dem Krieg heraus daran denken: Hoffentlich ist es bald vorbei. Wann kann ich endlich mein eigenes Leben aufbauen. Was mir aufgefallen ist, gerade bei Menschen, die so christlich, katholisch aufgewachsen sind: Einmal schreibt Alfons, wir wollen den lieben Gott bitten, dass Franz und ich heil aus dem Elend herauskommen.
Ansonsten spielt Gott, Glaube, Religion, das Gebet in den Feldpostbriefen keine Rolle …
Beckmann: Ja, das wundert mich, weil alle so gottesfürchtig aufgewachsen sind. Dieses Dorf war da ganz besonders. Es gab Sicherheit, es gab ein ganz klares zuhause - und das war die Kirche, die benachbarte St. Bartholomäuskirche. Mich wundert, dass meine Onkel darüber nicht so richtig schreiben. Ich glaube, der Krieg macht einfach kalt.
Auf dem Schlachtfeld wohnt kein Gott, schreiben sie …
Beckmann: Ja, den Satz habe ich geschrieben, weil ich das so empfunden habe.
Herr Beckmann, die Feldpostbriefe sind eine sehr wichtige Quelle für ihr Buch. Es gibt noch einige andere mehr. Gespräche mit ihrer Mutter sind auch eine wichtige Quelle. Waren das leichte Gespräche? Konnte sie drüber reden?
Beckmann: Meine Mutter konnte und wollte drüber reden.
Ihre Mutter ist 98 Jahre alt geworden. 2019 ist sie gestorben. Hatte sie ein gutes Leben?
Beckmann: Ich glaube, dass sie ein gutes Leben hatte. Und sie hatte eine Bescheidenheit für das Glück. Ich kann mich noch erinnern, wenn ich dann gefragt habe, Mutter, wie geht's dir? Och, Reinhold? Ich bin zufrieden. Das war eine Gabe bei ihr.
Das Interview führte Klaus Böllert.