Das Grundgesetz als Buch hängt schräg aus einem Regal raus © picture alliance/dpa Foto: Hendrik Schmidt

Kolumne: "Würde ist kein Konjunktiv – 75 Jahre Grundgesetz"

Stand: 23.05.2024 09:20 Uhr

Das Grundgesetz wird in diesen Tagen 75 Jahre alt. Grund genug, zu feiern und dankbar zurückzublicken auf das Erreichte. Radiopastorin Christine Oberlin aus Schwerin wünscht sich ehrliche und wertschätzende Geburtstagfeiern.

von Christine Oberlin

Als unsere Eltern 75 wurden, haben wir mit Familie und Freunden gefeiert. Wir haben alte Geschichten erzählt, zurückgeblickt, ihnen gezeigt, wie gern wir sie haben und wie froh wir sind, dass sie für uns da sind. In diesen Tagen wurde das Grundgesetz 75 Jahre alt. Es gibt Berichte über Feiern, festliche Reden, Staatsgäste, eine Feierstunde im Parlament. Ausgelassene Fröhlichkeit wie bei einer Familienfeier? Eher nicht. Aber vielleicht doch ein wenig Stolz über das Erreichte.

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet. Der erste Satz nach der Präambel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es folgen Artikel, die Haltungen und Verhaltensweisen fordern und ermöglichen. Von der Generation meiner Väter und Mütter nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sie mühsam erstritten werden, z.B. Gleichberechtigung, Meinungs- und Informationsfreiheit, Freiheit des Gewissens. Vieles, was mir heute als selbstverständlich vorkommt. In der Präambel wird auf die Verantwortung vor Gott aufmerksam gemacht. Und dann kommt, wie eine Grundlage für alles, der Satz, der nicht verhandelbar ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Gottesdienste zum Geburtstag des Grundgesetzes

An den 75. Geburtstag des Grundgesetzes wird auch in Gottesdiensten gedacht: 20 Gottesdienste aus den 20 evangelischen Landeskirchen werden zu den 20 Grundrechten gefeiert. Das stelle ich mir schön vor. Wie bei einer Geburtstagsfeier. Dankbar zurückblicken, froh sein, dass man einander hat und Wertschätzung zeigt. Und wenn mir etwas wertvoll ist, schütze ich es auch. Ich wünsche mir dankbare und ehrliche Geburtstagsfeiern für unser Grundgesetz- wo man beim Rückblick auch Tiefschläge anspricht und gleichzeitig weiß: Gut, dass es dich gibt.

Damit führt er aus, was wir vom biblischen Psalmbeter kennen: "Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden." (Psalm 90) Klug, das nutzlose Streben nach Kontrolle über die Zeit aufzugeben, unsere To-Do-Listen auch mal beiseitezulegen und uns zu entscheiden - für die Dinge und die Menschen, die uns wichtig sind. Und dann einfach zu sein, ohne Plan und ohne Uhr, dankbar, hier und jetzt.

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 26.05.2024 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

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