Kolumne: "Herzensbildung"
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Holocaust-Überlebende gibt es nur noch wenige. So wichtig es ist, dass wir uns von ihnen erinnern lassen, so wichtig ist auch das, was wir von ihnen über das Menschsein lernen können, findet Annette Behnken.
Seine Augen sind wach und grün. Das Haar schneeweiß. Die Hände tanzen, wenn er erzählt. Er blickt milde und warm, auf eine freundliche Weise ernsthaft. Den Menschen, dem Leben liebevoll zugewandt. Seine Geschichte sieht man ihm nicht an. Aber manchmal geht sein Blick weit weg. Und in seinen Augen mischen sich ungläubiges Staunen und trauriges Entsetzen. Jehuda Bacon ist 94 Jahre alt. Er hat als Kind Auschwitz überlebt und zwei Todesmärsche. Als das Konzentrationslager Auschwitz am 27. Januar 1945 befreit wurde, war er 15 Jahre alt. Vieles von dem, was er erlebt hat, erzählt er in seiner Kunst. Er wurde Maler und schuf ein umfangreiches Werk.
Herzensbildung hat nicht mir Bildung zu tun
Nach der Befreiung kannte er kein Vertrauen. Wachsen konnte es nur ganz langsam. Durch Menschen, wie den tschechischen evangelischen Pädagogen Premsyl Pitter. Der baute Erholungsheime für jüdische Kinder auf, die ihre Eltern verloren hatten. Bei ihm erlebten Jehuda sowie andere Mädchen und Jungen bedingungslose Zuwendung. Ein Mensch, so beschreibt Bacon ihn, der nichts wollte, nichts erwartete. "Letzten Endes geht es um Herzensbildung", sagt Bacon. Und die hat nichts mit Bildung oder Status zu tun.
Können Holocaust-Überlebende Glück erfahren?
Herzensbildung, Güte, die sah er zum Beispiel bei den ärmsten Bauern in Polen, die unter Lebensgefahr Juden versteckten, ohne irgendetwas dafür zu erwarten. Bei den Kindern und Jugendlichen auf den Todesmärschen, die die schwächsten Kinder weitertrugen, wenn sie nicht mehr konnten. Bedingungslose Zuwendung.
Und Glück? Konnte Bacon auch wieder so etwas Glück erfahren? Glück, so Bacon, ist eine Möglichkeit. Die Möglichkeit, Gutes zu machen. Und dafür kann ich mich entscheiden. Jeden Tag. Und jetzt, in diesem Moment.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.