Kolumne: Zitronen statt Knöllchen
Wer als Strafe in eine saure Zitrone beißen muss, wird diese Lektion so schnell nicht wieder vergessen. Verblüffende Aktionen und Geschichten dieser Art setzen auf liebevolle Einsicht.
Dieser grelle, orange-leuchtende Blitz. Plötzlich blendet er vom rechten Straßenrand. Wie aus dem Nichts. Sie werden das vielleicht kennen: Augenblicklich geht der Puls hoch. Verdammt, ich war zu schnell. Bestimmt wird das wieder teuer!
Aber es kann auch anders laufen. Neulich gab es in Hannover an einer Grundschule so eine Verkehrskontrolle. Blitz und Puls, wie gehabt. Aber dann steht da 100 Meter weiter ein Polizist umringt von vier, fünf Erstklässlern und stoppt den Verkehrssünder mit der roten Kelle. Scheibe runter, ein schuldbewusstes: "Ja, ich war wohl zu schnell." Der Polizist schmunzelt, die Kinder sind aufgeregt. "OK", sagt der Polizist, "Einsicht ist schon mal ganz gut. Und nun haben Sie die Wahl. Entweder eine Zahlungsaufforderung oder, na, das werden Ihnen die Kinder erklären."
Sauer macht lustig
Und schon schieben sich zwei Mädchen an ihm vorbei und halten einen Korb vor das Autofenster. Voll mit aufgeschnittenen halben Zitronen. "Du musst einmal kräftig in die Zitrone beißen", sagt das größere der beiden Mädchen, "dann darfst Du weiterfahren." In ihren Augen blitzt Vorfreude. Keine Chance, zu entkommen. Also dann, ein herzhafter Biss in die Zitrone, sauer macht lustig, und die Kinder freuen sich über den herrlichen Gesichtsausdruck.
Ich finde die Aktion der Polizei und der Schulkinder einfach großartig. Ein Knöllchen über 50 Euro ist ärgerlich. Aber auch bald vergessen. Den Geschmack der Zitrone und das Kinderlachen, das vergisst man nicht so schnell.
Liebevoll auf Einsicht setzen
Ob die Pädagogen und Polizistinnen, die sich diese Idee ausgedacht haben, in der Bibel gelesen haben, wie Jesus gelehrt hat? Nämlich genau so. Er hat mit seinen Gleichnissen und Geschichten seine Zuhörerinnen und Zuhörer verblüfft und er hat Aha-Erlebnisse ausgelöst, um Menschen auf falsche Haltungen oder Denkweisen aufmerksam zu machen. Das tat Jesus in dem Gleichnis von der Ehebrecherin so, wo er überraschend die Kläger in den Fokus nimmt mit dem Satz: "Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein." Ganz ähnlich beim „verlorenen Sohn“, der trotz seiner Verfehlungen wieder Aufnahme findet zuhause.
Es gibt in der Bibel noch viele andere solcher Geschichten. Sie spielen mitten im Alltag und enden überraschend. Sie setzen liebevoll auf Überzeugung und Einsicht und fördern so die bessere Entscheidung.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Regelmäßig vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.