Kolumne: "Ausgebremst"
Ab Donnerstag haben im Norden alle Bundesländer Sommerferien. Das bedeutet dichter Verkehr auf den Straßen und viele Staus. Oft können Autofahrer nur im Schritttempo fahren - da ist Geduld gefragt.
Eigentlich keine gute Idee. Und trotzdem mache ich es immer wieder: letzter Arbeitstag, nach Feierabend ins vollgepackte Auto, und los. Alle Sinne stehen nach nichts wie weg. Schnell, schnell Richtung Urlaub und Erholung. Die Sonne scheint. Auf der Autobahn wird zügig gefahren. Im Kopf schwirren noch die E-Mails und die letzten beruflichen Dinge, dann plötzlich das: Warnblinker voraus, bremsen, dann Stopp und links ran. Mist, Stau. Ein paar Minuten Hoffnung, dass es gleich weitergeht. Dann gehen die ersten Autotüren auf.
Trotz Stau "fällt alles von mir ab"
Das kann dauern. Ein Abschleppwagen müht sich durch die Rettungsgasse, ein Fahrzeug für die Entfernung von Ölspuren folgt. Zögernd steige ich aus dem klimatisierten Auto. Ich spüre den warmen Asphalt unter meinen Füßen. Ich sehe den LKW-Fahrer neben mir, der aus seinem Führerhaus geklettert ist und nun neben seinem Truck steht und eine Zigarette raucht. Ich sehe Gräser und Margeriten, die sich im warmen Wind über die Mittelleitplanke beugen. Eine Familie hat auf der Kühlerhaube ein Picknick ausgebreitet. Und plötzlich werde ich ganz ruhig. Plötzlich fällt alles ab von mir. Ich werde ganz gelassen. Zwangsweise ausgebremst. Und ich bin überrascht, wie gut mir das tut.
Leben im Hier und Jetzt wahrnehmen
Ich denke, manchmal brauche ich das. An Grenzen stoßen und nicht weiterkönnen. Aufhören zu rennen, einen Stopp einlegen. Hier im Stau auf der Autobahn wird mir mit einem Schlag deutlich, was die alten spirituellen Lehrer mit Leben im Hier und Jetzt gemeint haben. In der Gegenwart leben, statt in der Vergangenheit oder Zukunft. Mich wahrnehmen, achtsam sein, auf das was unmittelbar um mich herum geschieht. Die Schöpfung wahrnehmen. "Sorgt euch nicht", sagt Jesus im Matthäus-Evangelium.
Als sich nach einer knappen Stunde die Autos vor uns langsam wieder in Bewegung setzen, bin ich fast ein bisschen enttäuscht, dass diese geschenkte Auszeit zu Ende geht. Aber ich habe ja noch die zwei Wochen Urlaub vor mir. Genug Gelegenheiten, mit allen Sinnen im Hier und Jetzt zu sein. Sehen und genießen, was der Augenblick schenkt.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Regelmäßig vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.