Kolumne: "Vom Saulus zum Paulus"
Warum fällt es Menschen so schwer, zuzugeben, etwas verbrochen zu haben oder schuldig geworden zu sein? Politiker wie Hubert Aiwanger wittern in der Flugblattaffäre eine politische Kampagne - und stilisieren sich als Opfer.
Mich beschäftigt das in letzter Zeit; und da muss ich bei dieser Frage gar nicht so weit weg nach Bayern gucken, sondern ich finde es viel interessanter, wie das bei meiner Nachbarin war. Die hat das nämlich richtig gut hinbekommen und wurde sprichwörtlich vom Saulus zum Paulus.
Sie wuchs in einem Dorf in Thüringen auf und kam als junge Frau mit einem Mann zusammen, der rechtsextrem war. Sie zog voll mit, mit allem, was man sich so darunter vorstellen kann. Wenn sie mir davon erzählt, dann kann ich es kaum glauben, dass sie so drauf war, denn hier und heute hat sie eine richtig soziale Ader. Sie achtet auch auf die, die arm sind und schwach oder in Not zu uns kommen.
Bereit sein, eigene Schwächen und Fehler zu benennen
Sie redet ganz offen über ihre Vergangenheit. Sie sagt, sie habe damals einfach nicht im Blick gehabt, was außerhalb ihrer Welt passierte. Sie kannte nur die Ansichten von ihrem Freund. Erst später, als sie bei der Bahn anfing, da kam sie mal raus, und fing an, sich auch selbst kritisch zu hinterfragen. Mich beeindruckt es, dass sie ihre alten Überzeugungen überprüft hat, dass sie sich geändert hat. Denn von mir selbst weiß ich, wie schwer es ist, zuzugeben, was ich früher mal getan oder gedacht habe. Ich glaube aber, dass genau das dazugehört: dass ich selbst bereit bin, mich offen und ehrlich anzuschauen, mich selbst zu reflektieren und eigene Schwächen und Fehler zu benennen.
Jeder kann vom Saulus zum Paulus werden
Beim biblischen Paulus war das ähnlich. Er erkannte, dass er mit seinen bisherigen Überzeugungen als Saulus anderen Menschen Schaden zugefügt hatte. Auch bei ihm war diese Erkenntnis der Schlüssel zur Veränderung. Mir macht es Mut, von Paulus zu lesen oder von meiner Nachbarin zu hören. Es zeigt mir: jederzeit ist es möglich, sich selbst zu verantworten, sich zu verändern. Jederzeit ist das möglich, und allen Menschen.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.