Kolumne: "Im Geist der Brüderlichkeit"
Vor 75 Jahren verabschiedete die UN-Vollversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Initiatorin Eleanor Roosevelt war überzeugt, dass das Dokument "Hilfe, Wegweiser und Inspiration" für die Menschen sein würde.
Es ist eine kalte Dezembernacht 1948 in Paris. Im Palais de Chaillot in der Nähe des Eiffelturms tagt die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Geleitet wird ihre Sitzung von der Amerikanerin Eleanor Roosevelt, sie ist die Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission. Endlich, um drei Uhr in der Frühe des 10. Dezember tritt sie ans Rednerpult und ruft: "Wir stehen heute an der Schwelle eines großen Ereignisses im Leben der Menschheit." Sie teilt den Delegierten mit: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist angenommen.
Darin festgehalten: bürgerliche und politische Rechte - für alle. Es geht um Gedankenfreiheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit. Auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind erfasst, zum Beispiel das Recht auf Nahrung und Wohnung, das Recht auf Bildung. Am bekanntesten: Artikel 1: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen."
Weltweit sind Menschenrechte bedroht
Ich frage mich, wie damals in Paris wohl über diese Formulierungen diskutiert wurde. Der "Geist der Brüderlichkeit" - heute häufig auch übersetzt mit Geschwisterlichkeit, Solidarität - das klingt fast naiv angesichts der Menschenrechtslage rund um den Globus. Wenn wir sehen, was im Iran, in der Ukraine, in Afghanistan oder Mexiko los ist. Es wäre leicht, da einfach die Augen zu verschließen, aufzugeben und gleichgültig zu werden.
Doch die Erklärung der Menschenrechte ist in der Welt. Das Bewusstsein, dass jeder Mensch wertvoll ist. Eine Vision, wie wir miteinander umgehen sollten. Und der Gedanke, dass wir alle im Grunde Mitglieder einer Menschheitsfamilie sind, bleibt kraftvoll, auch wenn er vielfach missachtet wird. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass die Menschenrechte im Advent festgeschrieben wurden. Ein Lichtzeichen, das hoffnungshell in die Dunkelheit hineinscheint.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.