Anja Reschke: "Ich bin bewusst in der Kirche geblieben"
Manchmal verstecken sich die Leute, wenn das Team von "Panorama" um Moderatorin Anja Reschke vor der Tür steht. Denn das Politikmagazin des NDR berichtet kritisch, investigativ und unbequem.
In ihren Sendungen "Panorama" und "Reschke-Fernsehen" decken Sie gesellschaftliche Missstände auf. Das gefällt nicht jedem …
Anja Reschke: Klar, ist man dann oft die Böse. Aber ich finde, das ist egal, denn die Demokratie braucht Journalismus. Die gehen Hand in Hand. Also Demokratie und Medien sind beides Kinder der Aufklärung. Und wenn man eine Demokratie haben will, in der es eben darum geht, die unterschiedlichen Sichtweisen miteinander ringen zu lassen, dann musst du auch Journalismus haben, der das kritisch begleitet.
Und Sie sind auch eine Journalistin, die sich persönlich einbringt. Also bewusst Stellung bezieht - auch zu politischen Themen. Warum?
Reschke: Das ist interessant, dass Sie das sagen, weil ich das gar nicht so wahrnehme. Das klingt immer so pathetisch, aber ich verstehe meinen Beruf schon so, dass ich auch der Demokratie diene. Und deswegen bin ich dann natürlich mit vollem Herzblut dabei. Und wenn ich nun mal Fakten recherchiert habe oder Zusammenhänge gefunden habe, dann versuche ich die natürlich auch mit aller Vehemenz und meinetwegen auch mit Einsatz meiner Personen rüberzubringen.
Sie haben damals das Buch geschrieben "Haltung zeigen". Da formulieren Sie deutlich einen persönlichen Standpunkt. Das ist nicht selbstverständlich …
Reschke: Das stimmt. Ich bin bei dem Wort Haltung immer so ein bisschen aufmerksam, weil das Wort Haltung heute sehr gerne missbraucht wird, als das Wort Gesinnung - und Gesinnung hat im Journalismus überhaupt nichts verloren. Es geht nicht darum, dass wir ideologisch oder nach unserer Gesinnung Geschichten erzählen. Mir geht es bei Haltung darum, und die müssten wir eigentlich alle als Bürger dieses Landes haben, dass wir sagen, okay, unsere Spielregeln auf wir uns geeinigt haben, sind die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes - und für die trete ich ein. Das ist auch der Sinn des Journalismus und sogar noch mehr des öffentlich-rechtlichen Journalismus. Also zu gucken, werden Minderheiten bedroht, Menschen wegen ihrer Religionsfreiheit oder sexuellen Ausrichtung angefeindet. Gilt der Grundsatz, Menschen sind gleich vor dem Gesetz noch. All diese Punkte sind am Ende die Leitplanken für Journalismus und dafür trete ich auch stark ein.
Das ist der Rahmen sozusagen …
Reschke: Ja. Genauso, wie man sagt, das Christentum steht eigentlich für Menschenfreundlichkeit. Das ist die Geschichte der Bibel. Dem anderen die Hand reichen. Für Liebe. Das ist auch eine Haltung.
Bei ihren Recherchen decken Sie schlimme Geschichten auf. Und gleichzeitig begegnet Ihnen im Netz sehr viel Hass, als Reaktion auf ihre Arbeit. Glauben Sie noch an so etwas wie das Gute im Menschen oder in der Welt?
Reschke: Absolut. Ich bin selbst überrascht darüber. Ich weiß noch als ich angefangen habe mit "Panorama" - da war ich 27. Und da gab es Warnungen von manchen, die gesagt haben: 'Und wenn du dich jetzt immer mit dem Schlechten beschäftigst oder wenn du immer guckst, wo was schiefläuft, pass auf, dass du nicht zynisch wirst.' Und das ist mir so in meinem Kopf hängen geblieben. Und ich stelle aber heute fest, dass ich das nicht bin. Also ich glaube, man kann es auch naiv nennen, aber am Ende glaube ich immer an die gute Absicht der Menschen. Es gibt sicher auch zerstörerische Menschen. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Und es gibt Menschen, die sehr viel Leid auslösen. Aber per se ja, glaube ich an das Gute im Menschen.
Sie sind ja schon öfter im Rahmen der Kirche aufgetreten, auch auf Kirchentagen. Das schätzen Sie an dieser Institution?
Reschke: Na ja, man wurde ja auch als Mitglied der Kirche schon herausgefordert. Würde ich sagen. Zwischendrin durch all die Debatten durch all die das Aufdecken der Missbrauchsfälle, die Frage welche Rolle hat Kirche heute? Gibt auch genügend Menschen, die ausgetreten sind. Ich bin bewusst da dringeblieben.
Warum?
Reschke: Ich bin bewusst da dringeblieben. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft einen Mahner brauchen, ein moralisches Gewissen. Jemanden der uns wieder zurückführt auf die Frage, was bedeutet Menschsein? Ich weiß nicht, ob die Kirche die optimale Institution ist, zumindest nicht, wie sie es ausführt. Nicht immer. Aber ich wüsste keine andere Institution, die diese Rolle einnehmen könnte, für die Fragen: Was bedeutet unser Zusammenleben? Welche Regeln sind eigentlich Regeln für ein gutes Leben? Das halte ich für enorm wichtige Fragen. Und die gehen in einer Welt, die sich sehr an Wirtschaft, Kapitalvermehrung und Wachstum orientiert, zwischendrin unter. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass du eine Institution hast, die quasi über allem schwebt, die nicht politisch einzuordnen ist. Und zwischendrin mahnt.
Würden Sie sagen, Sie sind ein gläubiger Mensch?
Reschke: Na ja, da ist die Frage: Was ist Glauben. Wie vorhin schon gesagt, ich glaube an den Wunsch des Menschen, in einer Gemeinschaft zu einem friedlichen und wertschätzenden Miteinander kommen zu wollen, weil sich das einfach als die beste Form des Überlebens herausgestellt hat. Ob ich jetzt mit den einzelnen Glaubenssätzen der Bibel übereinstimme, weiß ich gar nicht. Aber insofern würde ich sagen: Ja ich glaube, ich glaube an die Menschheit.
Gibt es religiöse Rituale, die Sie faszinierend finden? Also jetzt außerhalb von Weihnachten und Ostern.
Reschke: Was meinen Sie damit? Zum Beispiel.
Wenn Menschen beten, zum Beispiel …
Reschke: Die finde ich faszinierend und wirklich interessant. Da sieht man ein großes Bedürfnis, zusammenzukommen und gemeinsam sich über etwas zu freuen oder zu trauern. Wann immer Attentate oder schlimme Dinge passieren, gehen Menschen in Kirchen. Ich fand das irre, wie der Brand von Notre-Dame so viele Menschen berührt hat. Ich finde es irre, wenn in einer Gesellschaft etwas Schlimmes passiert, dass Menschen das Bedürfnis haben, zum Beispiel in die Kirche zu gehen und mit anderen zusammenzustehen. Das heißt, die Form des Gebetes oder des gemeinsamen Fühlens ist eine ganz wichtige. Und die hat die Kirche ritualisiert.
Was ist ihr Trost und ihre Hoffnung?
Reschke: Also ich brauche gar keinen Trost. Ich kann Ihnen das nicht beantworten. Das weiß ich nicht so richtig. Das ist mein tiefer, verwurzelter Glaube an das Gute. Tatsächlich. Und deswegen also gäbe ja genügend Dinge, die man gerade politisch wirklich schwerwiegend in Frage stellen könnte, wo man verzweifeln könnte. Aber am Ende hat sich die Menschheit immer weiterentwickelt, auch wenn es schlimme Rückschläge gibt. Und auch wenn es viel Leid und Tod und Ungerechtigkeiten und Gewalt auf dieser Welt gibt, glaube ich jetzt so in Summe entwickelt es sich am Ende doch zu positiven Dingen.
Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR