Schild einer Notfallseelsorge auf einem Autodach. © Picture Alliance / dpa Foto: Sven Hoppe

"Notfallseelsorge ist ein Dienst für den Moment"

Stand: 26.04.2023 10:00 Uhr

Egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit: Notfallseelsorge kennt keine Sprechzeiten. Pastorinnen und Pastoren stehen Betroffenen bei Unfällen und Unglücken bei - und leisten dabei Erste Hilfe für die Seele.

von Pastor Oliver Vorwald

Drei Uhr nachts, der Pieper reißt ihn aus dem Schlaf. Er tappt durch das dunkle Treppenhaus ins Pfarrzimmer, ruft die Leitstelle an. Tod eines Säuglings, junges Elternpaar, sie leben weit draußen auf dem Land. Erste Regel: Er versucht die Pfarrerin der Gemeinde zu erreichen, doch da meldet sich nur der Anrufbeantworter. Er nimmt die Autoschlüssel und den Rucksack mit der Aufschrift "Notfallseelsorge". Darin eine Weste, eine Isolierdecke, eine Schachtel Zigaretten, ein Teddybär, ein Gebetsbuch mit Liedern und Bekenntnissen verschiedener Religionen.

"Notfallseelsorge richtet sich an alle Menschen und achtet das Recht auf Selbstbestimmung und die religiöse und weltanschauliche Orientierung der Betroffenen." So beschreiben die sogenannten Hamburger Thesen das Selbstverständnis der Notfallseelsorge in Deutschland.

Betroffenen mit Trostworten beistehen

Scheinwerfer tasten durch die Nacht. Rund 40 Minuten dauert die Fahrt. Bilder huschen durch seine Gedanken, er drückt sie weg. Was dran ist, zeigt der Moment. Er vertraut auf die seelsorgliche Ausbildung - und seinen Glauben. Ein beleuchteter Hauseingang, Polizei, Krankenwagen. Zunächst der Austausch mit den Beamten, dann geht er zu den Eltern. Kaffeebecher auf dem Couchtisch, leere Blicke, Schweigen.

Er setzt sich zu den beiden und macht vor allem eins: Ist ganz da, hält mit ihnen diesen Moment aus. Irgendwann kommen die Worte - und die Tränen. Er fragt, ob er das Kind sehen darf. Ob er ein Gebet sprechen soll. Stilles Nicken. Er geht nach nebenan, spricht die alten Trostworte von Behüten, Licht, Gnade. Die Nachbarin kommt und sagt "Dankeschön. Ich bleibe bei den beiden." Draußen holt er die Zigaretten aus dem Notfallseelsorge-Rucksack, blickt in den Nachthimmel.

Notfallseelsorge ist ein Dienst für den Moment

Für die weitere seelsorgliche Begleitung nach dem unmittelbaren Einsatzzeitraum verweist die Notfallseelsorge an Seelsorger und Seelsorgerinnen vor Ort. Aus den Hamburger Thesen für die Notfallseelsorge

Zu Hause sind schon alle wach. Er schließt die Töchter in die Arme, Frühstück, bringt er die Mädchen zum Schulbus. Dann ruft er die Kollegin auf dem Land an, berichtet vom Einsatz. Mittags kann er den Pieper und den Rucksack weitergeben. Sieben Tage dauert die Bereitschaft. Die allermeisten Einsätze spielen sich im häuslichen Bereich ab. Sie sind ein Dienst für den Moment. Notfallseelsorge ist erste "Hilfe für die Seele". Nicht mehr. Vor allem nicht weniger.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | 22.04.2023 | 09:15 Uhr

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