Anita Engels, Klimaforscherin an der Uni Hamburg © Universität Hamburg Foto: S. Engels

Anita Engels: "Viele Menschen sind in einem Dilemma gefangen"

Stand: 03.01.2024 12:50 Uhr

Wir könnten die Klimaziele erreichen, aber stehen uns selbst im Weg, sagt Anita Engels, Professorin für Soziologie in Hamburg. Sie forscht, warum das so ist. Und sie nimmt dabei auch ihr eigenes Verhalten in den Blick.

Warum scheitert bisher eine erfolgreiche Klimapolitik?

Anita Engels: Der Grund dafür ist, dass wir nach wie vor nicht verhindern, dass mit der Förderung von Öl, Gas und Kohle sehr viel Geld verdient werden kann. Dazu müssten massive gesetzliche Veränderungen und politische Entscheidungsprozesse stattfinden. Und dafür hat sich bisher einfach noch keine Mehrheit gefunden.

Was brauchen Menschen, damit sie solche Veränderungsprozesse in die Wege leiten?

Engels: Menschen sind in sehr unterschiedlichen Kontexten tätig. Wir schauen uns die Menschen in ihrem beruflichen Rollen an und als Akteure, die zum Beispiel in der Politik Entscheidungen treffen oder Finanzströme verwalten. Oder auch als Aktivisten, die dann eine Protestbewegung organisieren. Und in all diesen Rollen haben sie bestimmte Anreizsysteme und diese sprechen häufig noch nicht dafür, dass man sich mit Klimathemen und dem Einsparen von Treibhausgas-Emissionen besonders beliebt macht.

Anita Engels, Klimaforscherin an der Uni Hamburg © Universität Hamburg Foto: S. Engels
AUDIO: Gott und die Welt mit Anita Engels (10 Min)

Können Sie mal aufzählen, um welche Werte es dabei letztlich geht. Ist das wirklich so plakativ wie Klimaschutz versus Geld?

Engels: Ja, so schwarz-weiß ist das oft nicht. Wir haben als Menschen Möglichkeiten, diese Dissonanzen in Einklang zu bringen. Wir wissen, dass wir etwas falsch machen. Aber wir denken dann, die anderen machen das ja auch. Also an mir allein liegt das nicht. Wir bauen ganz viele Brücken, um nicht handeln zu müssen. Die Werte sind da und wir wissen, dass das Klimasystem der Erde uns alle als Menschheit beschützt - und es bewahrt werden müsste. Oder man weiß, Vielfliegen oder bestimmte Verhaltensweisen tragen dazu bei, dass das Klima weiterhin geschädigt wird. Aber diese Werte konkurrieren dann eben - gleichzeitig weiß man das ist nur dieses eine Leben, das man hat und der eine materielle Wohlstand, den man genießen kann. Und der basiert in den allermeisten Fällen darauf, dass nach wie vor fossile Energieträger ausgenutzt werden.

Wenn wir uns bemühen, nicht schwarz-weiß auf das Thema zu gucken, dann stellen wir fest, dass das nicht so ist, dass es im außen gut und schlecht gibt, sondern dass jeder Mensch beide Positionen in sich hat und dazwischen ringt. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Engels: Viele Menschen sind in diesem Dilemma gefangen. Ich kann das an mir selbst sehen. Bei manchen Verhaltensweisen lege ich sehr viel Wert darauf, dass ich kein Auto besitze. Ich lebe aber auch in einer Großstadt, die das ermöglicht. Dass ich zumindest innerhalb von Europa nicht mehr fliege. Aber ich kann mir auch Zugfahrten leisten. Dass ich kein Fleisch mehr esse. Aber das hat auch andere Gründe, nämlich Tierschutzgründe. Und andererseits weiß ich genau, für meine berufliche Forschung muss ich immer wieder in andere Länder und Kontinente fliegen. Und ich weiß, dass ich inkonsistent bin. Und so geht es allen anderen eben auch.

Wie können wir uns gegenseitig stärken und was für eine Rolle spielen dabei eventuell auch Religionsgemeinschaften?

Engels: Es ist sehr wichtig, sich wirklich aus dieser Vereinsamung herauszubewegen, dass man ohnmächtig diesem großen Klimaproblemen allein gegenübersteht. Ich beobachte nicht nur Wirtschaftsunternehmen, große Konzerne, sondern auch viele kleine lokale Initiativen auf Stadtteilebene, wo sich Menschen zusammenschließen, die gemeinsam darum ringen: Wie kann man zu einem klimafreundlichen Mobilitätskonzept in der Nachbarschaft kommen? Wie kann man die Energiewende gemeinsam bewältigen? Wie kann man eine Initiative gründen, die Politik zumindest lokal beeinflussen? Das finde ich immer sehr ermutigend. Religionsgemeinschaften können solche Gemeinschaftsgefühle auch stiften. Die Kirchen können bei so etwas der mithelfen. Wir wissen aus vielen empirischen Beispielen, dass die Kirchengemeinden im Klimabereich eine zum Teil sehr aktive Rolle einnehmen. Aber die Kirchen als Institutionen haben auch eine Verantwortung im größeren Sinne. Ich betrachte Kirchen auch als institutionelle Investoren, die große Kapitalien verwalten und genauso auf dieser Ebene achten müssen, das eben nicht zu einem Finanzstrom für die fossilen Energieträger wird.

Und würden sie aber auch sagen, dass die Kirchen da eine große Verantwortung im ideellen Bereich haben?

Engels: Ja. Wir sehen im Moment in vielen gesellschaftlichen Debatten, dass sich eine gewisse Kälte und Härte durchsetzt. Sei es im Umgang mit Asylsuchenden, seien es Kriege und Konflikte, mit denen wir uns auseinandersetzen, oder eben auch die Klimaproteste, die wir im Alltag erleben. Und da ist diese Grundvermittlung von Empathie und Solidarität ein ganz wichtiger Weg, um aus dieser Verhärtung herauszukommen. Ich denke, dass wir eine positive, konstruktive Klimaschutzpolitik nur dann erreichen können, wenn wir es schaffen, wieder eine empathische Grundlage in der Gesellschaft zu verankern.

Und da spielt die Kirche eine Rolle. Würden Sie es so sagen?

Engels: Ich vermute, das. Ich kann das nur beobachten. Ich bin selbst kein Mitglied der Kirche. Aber ich beobachtet, dass in vielen Gemeinden, die sich mit Klimathemen beschäftigen. Ich sehe, dass da Initiativen hervorgehen, die eine große Kraft haben. Das ist eben manchmal dann doch viel stärker, diese Art von Gemeinschaft, Empathie und Solidarität, die von den Kirchen vermittelt werden, als die, die jetzt erst mal mühsam über Nachbarschaft zustande kommen muss.

Was glauben Sie, wie wir in Zukunft mit dem Thema Klima umgehen werden? Also jetzt vielleicht im besten Fall …

Engels: Jetzt sieht es gerade nicht so gut aus, als würde sich da eine positive Wendung unmittelbar aufdrängen. Im besten Fall hoffe ich, dass das wirklich sehr viele Entscheidungsträger verstehen, wie dramatisch das inzwischen ist, wie dringend der Handlungsbedarf ist, und dass wir auf den wichtigen Entscheidungsebenen Menschen haben, die sich trauen, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen und mitzutragen.

Sie haben ja gerade gesagt, sie selbst sind kein Mitglied der Kirche. Was würden Sie sagen, inwieweit helfen christliche Werte?

Engels: In meiner Forschung zeigt sich, dass wir es schaffen müssen, in der Bevölkerung und in der Politik eine klimagerechte Form des Klimaschutzes zu entwickeln. Und das kann man natürlich sehr gut mit christlichen Werten verbinden, sodass man eben die sehr betroffenen, wirtschaftlich prekären Haushalte da mitdenkt und mitstützt. Vielleicht geben die Kirchen aber auch Werte her, die am oberen Ende der Einkommens- und Reichtumsskala sich bewegen und die vielleicht aus kirchlichen oder aus religiösen Motiven heraus dann zu einer Mäßigung finden. Das sind zumindest Hoffnungen, die ich habe. Und grundsätzlich haben wir natürlich den Schöpfungsgedanken, dass wir die Schöpfung bewahren sollen. Das ist eine sehr starke Motivation, zumindest in der europäischen Auslegung von christlichen Kirchen.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 06.01.2024 | 07:40 Uhr

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