Gewalt gegen Einsatzkräfte nimmt zu und hat viele Formen
Von "Bullenschwein" bis zum Messerangriff - Die Einsatzkräfte der Polizei sind nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei im Dienst zunehmend gewalttätigen Angriffen ausgesetzt.
Die Wanderausstellung "Der Mensch dahinter" - gerade im Kieler Rathaus zu sehen - thematisiert dies. Die Foto-Text-Tafeln porträtieren 47 Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr und THW aus ganz Deutschland. Sie schildern ihre Erfahrungen mit Gewalt. Die Landesgeschäftsführerin der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Susanne Rieckhof, spricht im Interview mit NDR Schleswig-Holstein zu möglichen Ursachen und was das mit den Einsatzkräften macht.
Frau Rieckhof, man denkt, dass die große Mehrheit der Gesellschaft sehr genau weiß, was Einsatzkräfte leisten und ihnen gegenüber nicht mit Gewalt oder Aggression begegnen würde. Hat sich das geändert?
Susanne Rieckhof : Im Großen und Ganzen nicht. Wir wissen aus Umfragen, dass 80 Prozent der Menschen in die Polizei vertrauen und die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen wertschätzen. Jahr für Jahr stellen wir dennoch leider eine Zunahme der Gewalt bei den Zahlen, aber auch bei der Intensität/Qualität der Gewalt fest. Zuletzt mussten wir einen Anstieg um fünf Prozent bei Gewalt gegenüber Polizeivollzugsbeamten verzeichnen. 2023 gab es 432 Verletzte, davon sieben schwer, mehr als 1.000 Tage waren die Verletzten zusammen dienstunfähig.
Welche Entwicklungen beobachten Sie hinsichtlich der physischen und verbalen Gewalt gegenüber Polizei- und Rettungskräften?
Rieckhof: Wir beobachten, dass es in physischer Hinsicht mehr Angriffe mit Messern und Schusswaffen gibt. Dabei registrieren wir auch, dass die Hemmschwelle sinkt; das betrifft vor allem verbale Gewalt wie Beleidigungen und etwa auch Kommentare in Social Media.
Welche Auswirkungen haben solche Angriffe auf die Einsatzbereitschaft und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen?
Rieckhof: Die Verletzbarkeit und Verletzlichkeit eines jeden Menschen ist individuell. Dabei sind die Kollegen Profis, aber jeder Vorfall macht etwas mit den Betroffenen. Es sind ja Menschen und keine Maschinen. Jeder verarbeitet das anders: schnell, langsam, leise, laut, mit Sport, manche schlafen schlecht, andere werden gar krank, und dann fehlen sie im System.
Wie hilft die Behörde Einsatzkräften, die so etwas erlebt haben?
Rieckhof: Das geschieht einmal im Team durch Gespräche mit Kollegen oder durch Gespräche mit gut geschulten Führungskräften. Nach belastenden Einsätzen können Betroffenen auch Betreuer zur Seite gestellt werden. Und wir haben fünf Psychologen vom landespsychologischen Dienst.
Was sind die Unterschiede im persönlichen Verarbeiten von physischer und verbaler beziehungsweise psychischer Gewalt?
Rieckhof: Das ist höchst individuell; wir haben allein 9.250 Kolleginnen und Kollegen in der Landespolizei. Schauen Sie dabei auf die in der Wanderausstellung "Der Mensch dahinter" 47 Portraitierten. Sie alle erzählen eine andere Geschichte. Eine Beleidigung als "Bullenschwein" wird anders weggesteckt als ein Biss eines mutmaßlich HIV-Infizierten in den Arm oder gar ein Messerangriff.
Zuletzt gab es in Kiel zwei bekannt gewordene besonders aggressive Vorgehensweisen von Tätern, konkret der Fall eines Messerangriffs auf Polizeibeamte in der Kieler Blumenstraße und die Schüsse in Ellerbek. Wie geht es den Beamten, die geschossen haben und wie geht es der verletzten Beamtin?
Rieckhof: Weil es sich um laufende Ermittlungsverfahren handelt, können wir uns dazu nicht äußern.
Was genau passiert, wenn ein Polizeibeamter oder eine Polizeibeamtin geschossen hat? Welche Verfahren schließen sich an?
Rieckhof: Es werden Uniform und Ausrüstung sichergestellt, Spuren gesichert und es wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Kollege kann individuell auch freigestellt werden. Stellen sie sich vor, was emotional vor sich geht. Eben noch Routine-Alltag, plötzlich ein lebensbedrohlicher Angriff mit der Entscheidung zu schießen. Der Betroffene leistet anschließend Erste Hilfe, wird mitunter selbst Beschuldigter. Und dann denken sie auch an die Reaktionen ihm gegenüber durch Medien, Social Media und seine Familie.
Gibt es bestimmte Situationen oder Einsätze, die besonders häufig zu Konflikten oder Angriffen führen?
Rieckhof: Das sind häufig Einsätze bei häuslicher Gewalt, bei Familienstreits oder wenn junge Menschen alkoholisiert sind. Ein potentielles Risiko geht auch von Situationen mit psychisch Kranken aus, wenn wir von ihnen nicht wissen, dass sie krank sind.
Jeder Fall muss sicher individuell beurteilt werden. Erkennen Sie gesellschaftliche Entwicklungen, die Gewalt gegen Einsatzkräfte allgemein leichter möglich werden lassen?
Rieckhof: 80 Prozent der Bevölkerung vertrauen der Polizei nach wie vor. 20 Prozent jedoch verlieren das Vertrauen in den Staat. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern. Zusätzlich tragen soziale Medien ihren Teil zu einer größeren Polarisierung und einer Verrohung der Sprache bei, bei der Meinungen anderer weniger Akzeptanz eingeräumt wird.
Gibt es Diskussionen, um die Sicherheit Ihrer Einsatzkräfte zu gewährleisten?
Rieckhof: Die Forderungen der GdP sind nicht neu, aber erschreckenderweise seit Jahren aktuell. Ganz oben auf der Liste steht die Forderung für null Toleranz von Gewalt gegen unsere Kolleginnen und Kollegen. Wir fordern auch eine deutliche Positionierung von Politik, Gesellschaft und Medien gegen Bedrohungen, Anfeindungen und Angriffe infolge der beruflichen Tätigkeit.
Das Interview führte Anke Rösler, NDR Schleswig-Holstein.