Femizide: Osnabrücker Projekt zum Schutz von Frauen
Der internationale Weltfrauentag soll auf Frauenrechte und Gleichberechtigung aufmerksam machen. Allerdings sind Frauen auch in unserer Gesellschaft nicht überall gleichgestellt. Zudem sind in unserer Gesellschaft gerade auch Frauen immer wieder Opfer von Gewalt. In Osnabrück gibt es ein vorbildliches Präventionssystem, das schon vielen bedrohten Frauen helfen konnte. Die "NDR Info Perspektiven" waren vor Ort.
Jede vierte Frau in Deutschland hat laut Bundesfamilienministerium mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Und zwar nicht durch Fremde, sondern in der Partnerschaft: durch den Freund, Ehemann oder Ex-Partner. Gibt es Gewalt in einer Beziehung, sind mehr als 80 Prozent der Opfer Frauen. Gewalt gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten und Ethnien. Schutz finden Betroffene und oft auch ihre Kinder zum Beispiel in Frauenhäusern. Davon gibt es bundesweit rund 350 - und damit viel zu wenige. Es fehlen fast 15.000 Plätze, die Deutschland laut einer EU-Konvention eigentlich bereithalten müsste. Immer mehr Frauen zeigen Gewalt mittlerweile bei der Polizei an. Die Dunkelziffer allerdings ist noch immer hoch. Partnerschaftsgewalt kann Körperverletzung, Vergewaltigung, Stalking aber auch Mord und Totschlag sein. 2018 sind laut Bundeskriminalamt 122 Frauen von ihrem Partner oder ihrem Ex-Partner getötet worden.
Osnabrück hat besonderes Präventionssystem
Laut dieser Statistik stirbt etwa jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland durch ihren Partner. Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, gibt es in Osnabrück ein niedersachsenweit einmaliges Präventionssystem. In einem Netzwerk tauschen sich Beratungsstellen, Polizei und Ämter aus. Besonders im Fokus sind sogenannte Hochrisikofälle, also Frauen, die bald getötet werden könnten. Allein an die Osnabrücker Frauenberatungsstelle haben sich im vergangenen Jahr 50 Frauen gewandt, die als Hochrisikofälle eingeordnet wurden.
Checkliste zur Einschätzung der Gefahr
Ein wichtiges Mittel in der täglichen Arbeit der Osnabrücker Stelle ist eine Checkliste. "Hat er jemals versucht sie zu würgen?" oder "Besitzt der Gefährder eine Schusswaffe?" sind einige der Fragen. Olga Barbje von der Osnabrücker Frauenberatungsstelle geht die Liste mit Frauen durch, die von ihrem Partner geschlagen, gestalked oder kontrolliert werden. Die Liste hilft ihr, Gefahren einzuschätzen. Lautet das Ergebnis "Hochrisikofall" heißt es: handeln.
"Soforttipps sind zum Beispiel, Schals und Ketten zu vermeiden, weil die in einer handgreiflichen Situation gefährlich oder sogar tödlich werden können. Wir besprechen meistens mit den Frauen auch ihre Wohnsituation. Haben sie einen sicheren Ort, den sie von innen abschließen können. Das ist meistens das Badezimmer."
Gutes Netzwerk ist der Schlüssel der Institution
Den ersten Kontakt mit den betroffenen Frauen hat oft die Polizei. Immer dann, wenn Nachbarn, Kinder oder das Opfer selbst die 110 wählen, sagt Anke Hamker von der Polizei Osnabrück. "In erster Linie gilt es natürlich, Opfer zu versorgen und eventuell einen Krankenwagen zu rufen oder die Parteien zu trennen. Dann wird der Sachverhalt aufgenommen und die Leute werden befragt, wenn es möglich ist. Dann werden Fotos gemacht - es ist im Prinzip wie ein Tatort."
Das Netzwerk in Osnabrück will verhindern, dass Frauen von ihren Partnern getötet werden. Viermal im Jahr trifft sich die Gruppe, spricht über konkrete Fälle. Mit dabei sind auch das Jugendamt, das Frauenhaus, die Täterberatung. Bei dringenden Fällen treffen sich die Experten spontan. Es geht darum, Verantwortung zu teilen, sich Rat zu holen, gemeinsam zu entscheiden, wie einer Frau am besten geholfen werden kann.
Trennung vom Partner oft größte Gefahr
Oft kennen alle in der Runde die Frauen oder die Familien seit Jahren, so die Polizistin. "Manchmal fahre ich zum zehnten Mal zu einer betroffenen Frau. Ich sage ihr immer wieder, was möglich ist und was sie unternehmen kann. Dann sage ich auch: Sie wollen doch nicht mit den Füßen zuerst hier aus dem Haus rausgetragen werden." Eine Trennung von dem Täter aber ist für manche zunächst unvorstellbar. Viele betroffene Frauen argumentieren, sie wollten die Familie nicht zerstören. "Dabei hat die Gewalt in der Familie durch einen gewalttätigen Partner dieses harmonische Bild eigentlich schon zerstört", sagt Olga Barbje. Viele Frauen wissen allerdings auch, dass eine Trennung für sie zur größten Gefahr werden kann. "Den Männern wird dann oft klar, dass sie ihre Frau wirklich verloren haben, keinen Einfluss und keine Macht mehr über sie haben. Ihnen wird dann auch klar, dass sie extrem gewalttätig werden müssten, um diese Macht zurückzubekommen. Oder sie haben das Gefühl, sie haben nichts mehr zu verlieren und wenn ich sie nicht haben kann, darf sie auch kein anderer haben. Im letzten Schritt sind manche dann eben auch bereit zu töten."
Konzept konnte bisher Morde verhindern
Deshalb plant Olga Barbje gemeinsam mit den Frauen die Trennung. Dabei weiß das ganze Hilfe-Netzwerk Bescheid. Wenn es soweit ist, fährt etwa die Polizei Streife, die Täterberatungsstelle ruft den Mann an. Der Frau wird ein Platz im Frauenhaus vorgehalten. Alle Hochrisikofälle, also alle Frauen, denen sich das Osnabrücker Präventionsnetzwerk angenommen hat, leben heute noch - ein Erfolg. Polizistin Anke Hamker hofft, dass das auch so bleibt: "Ich hoffe einfach, dass wir nicht irgendwann ein Tötungsdelikt haben und uns dann fragen müssen: Wieso, weshalb, warum?" Olga Barbje von der Frauenberatungsstelle begleitet die Frauen oft noch Jahre danach, wenn ein Gerichtsprozess ansteht, es um das Sorgerecht geht oder ein neuer Partner ins Leben tritt.