"Und dann haben mich meine Kinder eingeschult"
Der Norddeutsche Rundfunk möchte mit seinem Informationsangebot möglichst viele Menschen erreichen. Deshalb bietet der NDR schon seit einigen Jahren auch Texte in Leichter Sprache an, unter anderem tägliche Nachrichten. Diese sollen Barrieren abbauen und dabei helfen, Menschen, die nicht so gut lesen und schreiben können, eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Aber sind die Informationen in Leichter Sprache wirklich gut verständlich? Sind die Themen interessant? Was fehlt? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, lädt der NDR regelmäßig Menschen ein, die aus den unterschiedlichsten Gründen Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben - oder hatten. So wie Solveig K. und Axel Baumann.
Leben mit Scham, Angst und Ausreden
K. und Baumann gehören zum Alpha-Team der Hamburger Volkshochschule, eine Selbsthilfegruppe, in der sich Menschen mit Lese- und Schreibproblemen treffen. Sie wollen anderen Mut machen, sich nicht zu verstecken. Denn viele Betroffene führen ein Leben im Verborgenen - immer begleitet von Scham, Angst und Ausreden. Und obwohl es so viele Betroffene gibt, ist es noch immer ein Stigma, nicht richtig lesen und schreiben zu können. Oft wissen selbst Familienmitglieder nichts davon.
Laut einer Studie der Uni Hamburg können in Deutschland etwa 7,5 Millionen Erwachsene keine einfachen Texte lesen oder schreiben. Diese sogenannten funktionalen Analphabeten sind Menschen, deren Lese- und Schreibfähigkeiten nicht ausreichen, um an gesellschaftlichen Prozessen voll teilhaben zu können. Die genauen Gründe dafür sind ganz individuell und oft unbekannt. Auch die Probleme sind sehr unterschiedlich. Manche Betroffene können zum Beispiel gut lesen, aber schlecht schreiben. Andere lesen sehr langsam.
Gründe für Lese- und Schreibschwäche vielfältig
"Früher in der Schule bin ich nicht so gut mitgekommen. Wenn es ums Lesen ging, habe ich nach Ausreden gesucht. Und beim Monopolyspielen habe ich gesagt, habe ich keinen Bock drauf. Dann als Teenager nicht schreiben zu können, war echt eine harte Situation", sagt die 34-jährige K. Auch Baumann, Jahrgang 1955, hatte schon in der Grundschule, eine kleine Dorfschule, Schwierigkeiten "Silben richtig zusammenzusetzen". Auch gesundheitliche Probleme des Vaters und mehrere Umzüge führten dann dazu, dass das Lernen "ein bisschen untergegangen ist".
Lesenlernen brachte große Veränderung
Trotz ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche schafften es K. und Baumann, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Und irgendwann in ihrem Leben fassten beide den mutigen Entschluss, noch einmal die Schulbank zu drücken und doch noch Lesen und Schreiben zu lernen. K. war 19 Jahre alt, als sie beschloss, Deutschkurse zu besuchen: "Denn ich fand, ich habe doch viel mehr drauf." Seitdem hat sich viel in ihrem Leben verändert. Sie sei "offener und freier" und habe, seitdem sie besser lesen und schreiben kann, "eine ziemlich große Klappe" bekommen. Und sie engagiert sich jetzt ehrenamtlich, um anderen Betroffenen zu helfen und das Thema Lese- und Rechtschreibschwäche in die Öffentlichkeit zu bringen. Seit 2010 gehört sie zum Alpha-Team.
Familie unterstützt beim Schulabschluss
Baumann war bereits deutlich älter, als es zurück auf die Schulbank ging. Zuvor hatte er seiner Frau, die immer allen Schreibkram für ihn erledigte, gestanden, dass er nicht richtig lesen und schreiben könne. Er habe dabei "Angstschweiß auf der Stirn" gehabt. Sie habe aber nur gesagt: "Das ist nicht so schlimm. Eine Cousine von mir hat das auch." Was für eine Erleichterung.
"Ende der 80er habe ich Deutschkurse besucht. 2014 haben mich meine Kinder dann wieder eingeschult", schmunzelt der 63-Jährige, der seit Anfang des Jahres Rentner ist. Er sei damals arbeitslos gewesen und seine zwei Kinder, Sohn und Tochter, beide mit akademischer Ausbildung, hätten ihm den Rat gegeben, "etwas mehr Struktur" in seinen Alltag zu bringen. Sein Vorschlag daraufhin: "Ich kann doch meinen Hauptschulabschluss nachmachen." Und das hat Baumann dann auch erfolgreich getan. "Besonders schön war, wie die Kontrolleure geguckt haben, wenn ich meine Schülerkarte vorgezeigt habe", schmunzelt der 63-Jährige, der über einen Deutschkurs zum Alpha-Team kam.
Gute Bewertung für NDR Angebot
Und wie finden K. und Baumann, die bei ihrem NDR Besuch von VHS-Mitarbeiterin Susanne Kiendl begleitet wurden, nun das Angebot des NDR in Leichter Sprache? Ganz gut, vor allem den einfachen Aufbau der Texte und dass schwere Wörter immer erklärt werden. Auch die Möglichkeit, sich die Texte anhören zu können, fanden die Gäste vom Alpha-Team sehr positiv. "Hier werden Erwachsene vernünftig informiert", lautete Kiendls Fazit. Kritik gab es dafür, dass das Angebot auf NDR.de für Menschen aus der Zielgruppe schwer zu finden sei und an den Überschriften in Großbuchstaben. Und es könnten "insgesamt mehr Meldungen in Leichter Sprache sein". Die NDR Redakteure haben auf jeden Fall gut zugehört und nehmen einiges von dem Treffen mit. Ziel ist es schließlich, das Angebot weiter zu optimieren.