Stand: 13.07.2005 23:00 Uhr

Der Skandal um die Schleichwerbung

Er war derjenige, der den Schleichwerbeskandal aufdeckte: Volker Lilienthal, Redakteur beim Fachblatt "epd medien". Jahrelang hatte er zum Teil verdeckt recherchiert und dabei so manchen Rückschlag hinnehmen müssen. Als vor zwei Jahren die an der Schleichwerbung maßgeblich beteiligte Agentur "H+S" von Lilienthals Recherchen erfuhr, wurde ein Prozess gegen ihn angestrengt, der ihn bis zum 20. Januar 2005 daran hinderte, weiter zu recherchieren. Der Schleichwerber waren unterdessen weiter aktiv. Erst Volker Lilienthal brachte - allen Einschüchterungen zum Trotz - die illegalen Praktiken ans Licht - mit zwei Jahren Verspätung. Zapp über die schwierigen und langwierigen Enthüllungen im Schleichwerbeskandal bei der ARD.

Dreharbeiten zum Marienhof. In der erfolgreichen ARD-Vorabend-Serie geht es um Lügen und Intrigen, Betrug und Verrat seit 13 Jahren. Viel ist in dieser Zeit passiert, auch Schleichwerbung. Mal ist ein Sparkassenlogo im Bild, mal ein Slogan einer Last-Minute-Agentur und auch eine bekannte deutsche Krankenkasse war mehr als notwendig im Bild. Zum Entsetzen der ARD-Oberen. Günter Struve, ARD-Programmdirektor: "Ich habe es anfangs nicht geglaubt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das im großen Stil bei uns stattfinden könnte und nicht bemerkt würde."

Dieser Mann kann die Aufregung nicht verstehen: Andreas Schnoor ist Chef der Agentur, die die Werbebotschaften organisiert hat. Andreas Schnoor, H+S Unternehmensberatung GmbH: "Die Leute von der Produktion, die Mitarbeiter der Produktion kommen auf uns zu und sagen: 'Wir haben da und da einen Bedarf. Gibt es da eine Möglichkeit zu irgendeiner Kooperation?' Kooperation kann ja bedeuten: Bereitstellung, kann Entgeld bedeuten, kann Beratung bedeuten. All dieses können wir leisten."

Was geleistet wurde dokumentiert dieser "streng vertrauliche" Revisionsbericht des SWR. Danach habe die Agentur mit Wissen und Billigung der damaligen Geschäftsführung der Bavaria gehandelt, sich schon in den 80er Jahren etabliert. Diese Praxis sei zum Selbstläufer geworden, zu einer "organisierten Struktur".

Die Bavaria: Eine Tochterfirma von WDR, SWR, BR und MDR. Wegen des Skandals wurden sieben Mitarbeiter abgemahnt, drei fristlos entlassen. Die Affäre sorgte auch in den Printmedien für grelle Schlagzeilen: "Saustall ARD", "Tatort", "Heuchelei", "Die ARD im Sumpf". Fritz Pleitgen, WDR Intendant: "Für die ARD ist das ein Mega-Gau. So etwas hätte uns nicht passieren dürfen. Nun müssen wir alles dransetzen, dass so etwas das in Zukunft nicht geschieht. Dafür sind die Vorbereitungen getroffen worden."

Dass es passiert ist, dass diese Werbung sich ins Programm einschleichen konnte, hat dieser Journalist enthüllte: Volker Lilienthal. Seit drei Jahren beschäftigt er sich akribisch mit verbotener Schleichwerbung nicht nur im Marienhof. Sein Fazit: Volker Lilienthal, "epd-medien": "Die ARD ist die Betrogene, aber sie ist bestimmt nicht die betrogenen Unschuld. Weil sie hatte rechtzeitig Warnzeichen, denen sie nicht nachgegangen ist."

Denn Lilienthal hatte diese Warnzeichen schon wesentlich früher, durfte sie aber erst jetzt veröffentlichen. Es begann vor drei Jahren, hier in Frankfurt beim "Evangelischen Pressedienst", dem Arbeitsplatz von Volker Lilienthal. Er bekommt eine heimlich aufgenommene Videokasette zugespielt. Darauf zu sehen: Eine Frau, die einem Unternehmen Schleichwerbung im Marienhof anbietet. Die Frau betont die langjährige Zusammenarbeit mit der Bavaria und zeigt Beispiele. Lilienthal ist überrascht. Diese Akquise der Schleichwerbung ist eigentlich verboten, das weiß auch die Verkäuferin auf dem Video. Volker Lilienthal: "Sie hat erläutert, dass das rechtlich nicht ganz koscher sei, deshalb sollten die Manager dieses Verbandes unbedingt darüber schweigen. Sie hat aber ganz klar gesagt: 'Das ist eigentlich die Werbeform von morgen. Da erreichen Sie ihr Publikum viel besser als mit üblicher Spotwerbung.'"

Illegale Schleichwerbung in einer Serie der ARD? Ein schlimmer Verdacht. Lilienthal beginnt zu recherchieren. Er begibt sich zu der Agentur H + S und stellt sich dem Chef Andreas Schnoor als interessierter Kunde vor, der für Turnschuhe werben möchte - im Marienhof. Schnoor macht ihm ein Angebot, garantiert ihm dass seine Wünsche berücksichtigt werden können. Gekauft Inhalte. Volker Lilienthal: "Die Placements im Marienhof sollten im Zehnerpack die Kleinigkeit von 175.000 Euro kosten." So stand es wörtlich in diesem Angebotspapier. Damit war aktuell für das Jahr 2003 bewiesen: Es wird dort Schleichwerbung angeboten."

Das Ende der verdeckten Recherche. Er fordert vom verantwortlichen Bavaria-Produzenten für den Marienhof, Stefan Bechtle, eine Stellungnahme. Volker Lilienthal: "'Lieber Herrr Bechtle, kann das eigentlich sein, dass diese Leute für Sie hausieren gehen und Schleichwerbung massiv anbieten?' Daraufhin war er gleich sehr erregt, hat bestritten, diese Leute von der Agentur zu kennen und hat das Interview letztlich abgebrochen."

Stefan Bechtle will diese Agentur nicht kennen? Der Chef dieser Agentur kann sich darüber heute nur wundern. Andreas Schnoor: " Ich weiß gar nicht, wo das Problem ist. Ich kann doch mit Herrn Bechtle telefoniert haben. Wenn Herr Bechtle sagt, er würde mich nicht kennen, ist das sein Problem."

Nächster Versuch: Lilienthal wendet sich an das Büro des Bavaria-Chefs, Prof. Thilo Kleine, macht deutlich, dass es um jahrelange nicht erlaubte Schleichwerbung gehe. Dennoch: Volker Lilienthal: "Dieses Interview ist abgelehnt worden. Ich habe noch einmal nachgefragt und um ein telefonisches Interview gebeten. Auch das wurde mir im Mai 2003 abgelehnt." Doch der Bavaria-Chef behauptet heute, dass Lilienthal sich damals überhaupt nicht an die Geschäftsführung der Bavaria gewand habe. Eine absurde Ausrede, Lilienthal kann schließlich sogar schriftlich die Absage des Bavaria-Chefs dokumentieren.

Der Geschäftsführer der Bavaria habe leider "keine Zeit" für eine Auskunft.

Nächster Ansprechpartner: der Geschäftsführer der WDR mediagroup, auch zuständig für die Werbung in der ARD, Achim Rohnke. Auch ihm schildert Lilienthal das ganze Ausmaß seiner Recherche. Volker Lilienthal: "Herr Rohnke sagte auch: 'Jawohl, das ist Schleichwerbung. Das ist Werbegeld, das an meiner offiziellen Kasse vorbeiläuft, das ist geschäftsschädigend für mich, das will ich nicht haben.'"

Danach ist für Lilienthal die Recherche vorbei, abrupt und völlig überraschend. Die Juristen schlagen zu. Es beginnt nämlich eine abenteuerliche Posse und zwar hier beim Landgericht in München. Die Agentur H+S, die die Schleichwerbung angeboten hatte, erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen den Journalisten Lilienthal. Offenkundig hatte sie von Bavaria-Managern von Lilienthals Recherchen erfahren. Das Gericht verbietet Lilienthal, über seine Erkenntnisse zu sprechen oder sie gar zu publizieren. Bei Missachtung drohe eine Strafe von 1,5 Millionen Euro. Lilienthal ist geschockt. Volker Lilienthal: "Da wird einem angst und bange. Denn Sie wissen nicht: Werden Sie am Ende obsiegen. Und Sie haben natürlich in dem Moment das Gefühl, dass Sie da eine erhebliche Lawine losbetreten haben, die für Ihren Verlag sehr teuer kommen kann. Und wo Sie nie die Gewissheit haben: Werden wir das Gericht von unserer wahrhaftigen Position überzeugen können."

Während Lilienthal schweigen muss, geht die Schleichwerbung im Marienhof weiter als ob nichts geschehen sei. Und sie wird immer dreister. Ganze Handlungsstränge und Dialoge wurden offenbar gekauft, so wie hier vom Last-Minute-Anbieter L´tur. Einer scheint vom gerichtlich auferlegten Redeverbot des Journalisten mehr zu wissen als er heute zugibt: Achim Rohnke, zuständig für die ARD-Werbung. Volker Lilienthal: "Medientage München, Oktober 2003. Da traf ich noch mal mit Herrn Rohnke zusammen. Und der sagte zu mir: 'Herr Lilienthal, ich lese ja von Ihnen gar nichts. Da sollte doch eine große Geschichte kommen.' Daraufhin habe ich nur gesagt: 'Na, Sie wissen doch vielleicht, warum da nichts kommt.' Daraufhin Rohnke: 'Ja, ich habe davon gehört, aber das ist doch wohl nur diese Agentur, die da gegen sie klagt.' Damit endete auch schon das Gespräch, weil ich mich wegen Geltung der EV (einstweiligen Verfügung, die Redaktion) auf Details nicht einlassen durfte." Rohnke lies gegenüber Zapp erklären, er könne sich an dieses Gespräch nicht erinnern.

Bitter für Lilienthal: Er darf nicht reden. Kaum jemand erfuhr damals von seinem, wie er es nennt, Albtraum. Fritz Pleitgen, WDR Intendant: "Deshalb vor Gericht zu ziehen, das hat mich außerordentlich peinlich berührt. Das hat nun nicht die Bavaria gemacht, das hat eine Agentur gemacht, dennoch, weil es im Zusammenhang mit der Bavaria geschehen ist, hat mich das außerordentlich geärgert und ich hätte so etwas gerne verhindert und bedaure deshalb, dass Lilienthal mich damals nicht angesprochen hat. Ich hätte ihm sicher weitergeholfen."

Der Bayerische Rundfunk in München. Hier trifft sich im Mai 2004 Bavaria-Chef Kleine mit zwei Mitarbeitern der ARD. Es geht um Schleichwerbung im Marienhof, aber auch um das Verfahren gegen Lilienthal, das einem Justitiar des Bayerischen Rundfunks durch Zufall bekannt wurde. Über den Gesprächsinhalt werden die Vorgesetzten informiert, doch niemand meldet sich beim zum Schweigen verurteilten Journalisten Lilienthal. Der erhält im November 2004 einen Preis vom "Netzwerk Recherche" für seine spektakulären Enthüllungen über Schleichwerbung im ZDF-Programm. Für den Preisträger eine makabre Situation. Volker Lilienthal: "Gerade bei der ZDF-Recherche wurde ich vom ZDF immer wieder gefragt: 'Warum haben sie immer nur uns auf dem Kieker, sehen Sie denn nicht, was bei der ARD läuft?' Und da durfte ich nur sagen: 'Ich beobachte schon auch die ARD, warten Sie mal ab. Andere müssen etwas länger warten, bis sie verarztet werden."

Endlich: Im Januar diesen Jahres spricht das Oberlandesgericht München ein Machtwort. Es bescheinigt Lilienthal, dass er sauber recherchiert habe und er jetzt endlich veröffentlichen dürfe, was er seit langem weiß. Und er weiß viel. Volker Lilienthal: "Ich habe über 500 Folgen Marienhof in der Zeit still und heimlich geguckt. Dass ich endlich würde weiterrecherchieren dürfen, dass ich Leute anrufen dürfte, und so weiter, also das war eine kolossale Erleichterung. Endlich durfte ich aus der Passivität raus und durfte wieder frei arbeiten. Das war sehr, sehr wichtig für mich. "

Die ARD ist geschockt, weiß aber dennoch Lilienthals Enthüllungen zu würdigen. Fritz Pleitgen, Intendant WDR: "Erst einmal hat Lilienthal eine sehr verdienstvolle Arbeit dort hingelegt. So schmerzlich das für uns ist: Das muss ich aber als Journalist einfach anerkennen. Wenn er diese Fälle jetzt nicht aufgedeckt hätte, hätten die wahrscheinlich noch in Zukunft geschehen können und das hätte uns noch weniger gefallen können, als der jetzige Zustand."

Der jetzige Zustand? Volker Lilienthal hätte dies alles schon gerne vor zwei Jahren aufgedeckt. Volker Lilienthal: "Meine Überzeugung, auch meine Freude über die Reaktion der ARD, die mir eigentlich auch mit Respekt begegnet ist, das muss ich schon sagen, hat einen kleinen Dämpfer erlitten, seitdem ich jetzt im Nachhinein erfahren habe, dass hohe ARD-Verantwortliche doch schon 2004 spätestens von der Affäre, von dem Rechtstreit, von dem Versuch, mir den Mund zu verbieten, wussten. Das hat mich ein bisschen enttäuscht."

Wie die Titelmelodie schon sagt: Es passiert viel im Marienhof.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 13.07.2005 | 23:00 Uhr

NDR Logo
Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/zapp680.html