Sendedatum: 09.12.2009 23:05 Uhr

Die Stasi und die Journalisten

von Christoph Lütgert, Nicole Bölhoff

In Brandenburg läuft es ja sozusagen wirklich "Spitzel". Keine drei Monate ist das rot-rote Bündnis unter Matthias Platzeck alt und schon ist gut ein Viertel seines linken Koalitionspartners mit irgendwelchen Stasiverstrickungen aufgeflogen. So desaströs das für die Regierung in Brandenburg ist, so spannend ist es für Journalisten. Täglich ergießt sich neue Häme in der Presse. Aber, wie heißt es so schön, die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche. Zapp hat mal in der Vergangenheit einiger Journalisten, die sich jetzt echauffieren, recherchiert und dabei doch Erstaunliches entdeckt. 

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck ist im Dauer-Stress, in Bedrängnis. Die Opposition spottet über einen krassen Fehlstart seines rot-roten Bündnisses, denn bei der Linken gibt es immer neue Enttarnungen. Die Stasi-Vergangenheit holt die Parlamentarier jetzt ein. Bisher sind sieben von 26 betroffen. Bundesweit gibt es Negativ-Schlagzeilen. Die Presse zündet immer neue Kracher. Dabei waren - das kommt jetzt auch heraus - manche Enthüller zu DDR-Zeiten selbst bei der Stasi.  

Das Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, hier wurden die Opfer der Stasi gequält, heute ist es eine Gedenkstätte. Ihr Leiter Hubertus Knabe ist unerbittlich und erklärt: "Ich denke generell, dass Stasileute in den Medien nichts verloren haben. Sie sind geprägt von der Mitarbeit in der Geheimpolizei einer Diktatur und sind deshalb ungeeignet für den Job, die Öffentlichkeit in der Demokratie aufzuklären. Und sie sind befangen, insbesondere natürlich bei Themen, die die DDR betreffen und die Staatssicherheit insbesondere."  

Experte für Stasi-Enthüllungen beim Tagesspiegel

Einer von denen, die Knabe meint, ist Thorsten Metzner, seit Jahren Brandenburg-Korrespondent des renommierten Berliner Tagesspiegel. Er ist anerkannter Interviewer der Spitzenpolitiker aller Parteien und, weil das in Brandenburg geradezu zwangsläufig ist, Experte für Stasi-Enthüllungen. Von ihm stammt etwa der Artikel "Rücktritte bei der Linken nach neuen Stasi-Enthüllungen" im  Tagesspiegel vom 01.12.09. Von Thorsten Metzner gibt es eine Fülle anerkannt profunder Artikel über die Stasi-Verstrickungen von Politikern.  

Allerdings begann der damals 18-jährige Metzner an einer Stasi-Hochschule in Potsdam eine Ausbildung, mit der er hauptberuflich Stasi-Offizier werden wollte und das noch in den letzten Jahren der DDR vor dem Zusammenbruch. Laut seiner Stasi-Akte sollte er hier das perfide IM-Spitzelsystem lernen. Einführung in Grundfragen der IM-Arbeit. Hubertus Knabe erklärt: "Wenn ausgerechnet ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter dort nun diese Dinge in Brandenburg kommentiert und darüber berichtet. Er ist doch qua Biografie nicht neutral, kann es gar nicht sein. Das ist so, als wenn ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg aufdecken soll. Da wird man immer eine Portion Skepsis anbringen müssen und sagen müssen, kann es nicht auch jemand anderes machen, der frei von solchen Bindungen ist." 

Der Tagesspiegel steht zu Metzner und sein ehemaliger Chef in Brandenburg, Michael Mara, betont, Metzner habe sich von Anfang an zu seiner Vergangenheit bekannt. Sein Gesinnungswandel sei glaubwürdig. Auf die Frage, ob er sich auch den Lesern offenbart habe, erklärt Michael Mara: "Er hat sich den Lesern nicht offenbart, aber er ist in Potsdam von Anbeginn an sehr offen damit umgegangen. Das heißt, als er anfing bei uns 1990 hat er sich den Politikern, mit denen er zu tun hatte, offenbart, und es gab natürlich auch eine Reihe von Leserfragen, weil Thorsten Metzner in Potsdam nicht ganz unbekannt war. Er hat ja in Potsdam das Gymnasium besucht. Es gab auch Anfragen von Lesern. Und diesen Lesern hat er sich auch gestellt." 

CDU-Mann Dieter Dombrowski protestiert in Gefängnis-Kluft gegen Rot-Rot in Brandenburg. Er war in der DDR politischer Häftling, hasst die Stasi, aber vom Journalisten Metzner möchte er keine Stasi-Enthüllungen lesen. Dieter Dombrowski erklär: "Wer selbst belastet ist, kann nicht über andere einfach schreiben, die Belastungen mit sich herumtragen. Also diesen Spagat könnte ich persönlich nicht ertragen. Ich kann ihn nicht verstehen und auch nicht akzeptieren. Es ist eben so, wenn ich eben einen Artikel von diesem Journalisten lese, dann lese ich erst gar nicht weiter."  

Wie viel Stasi darf sein?

Beim berühmten Wachregiment der Stasi leistete der preisgekrönte Journalist Andreas Förster als Jugendlicher seinen dreijährigen Wehrdienst ab. Spätere Anwerbeversuche als IM lehnte er entschieden ab. Und trotzdem, auch um Förster gibt es den Grundsatzstreit: Wie viel Stasi darf bei Journalisten sein? Heute ist Förster bei der Berliner Zeitung der Stasi-Experte. Und er reagiert allergisch, wenn man ihn wegen seiner Zeit beim Wachregiment diffamieren will: "Weil ich mich dagegen wehre, undifferenziert betrachtet zu werden. Dass man sagt, der Förster war beim Wachregiment, der war bei der Stasi, also weg mit dem. Der hat da nichts zu suchen, der darf auch erst recht nicht darüber schreiben. Man soll mir einen Artikel, ich habe Hunderte Artikel geschrieben, ich habe Bücher geschrieben über die Stasi, da soll man mir einen Artikel, eine Formulierung aus meinem Buch nachweisen, wo ich irgendwie im Sinne der Stasi geschrieben habe."  

Wer nur beim Stasi-Wachregiment war, der war kein Spitzel, hat andere nicht drangsaliert. Das räumt auch Knabe ein, bleibt aber unerbittlich, aus Prinzip: "Ich meine, dass eben diese Kombination nicht geht. Wer bei der Stasi war, und sei es auch nur beim Wachregiment, kann heute nicht über Stasi-Themen schreiben, weil er befangen ist." Ganz anders sieht das der Berliner Historiker Jens Gieseke, der intensiv wie kaum ein zweiter die Stasi erforscht hat. Jens Gieseke erklärt: "Also ich glaube, die Tätigkeit ist schon mehr als ein normaler Wehrdienst, wie ihn jeder männliche DDR-Bürger zu absolvieren hatte, aber man muss letztendlich eine Abwägung treffen in der Gesamtschau. Und da würde ich sagen: Generell kann man nicht sagen, dass sich eine Disqualifikation daraus zwangsläufig ergibt, wenn nicht noch andere Faktoren hinzukommen."  

Dem Regime treu ergeben

Das Magazin Focus - Fakten, Fakten, Fakten - mit seinem agilen Chefredakteur Helmut Markwort beschäftigt einen, der bei der Stasi jahrelang ganz oben war. Tomas Tumovec war von 1975 bis zum Ende der DDR dabei, zum Schluss in sehr hoher Position beim Auswerten abgehörter Telefongespräche. Heute geriert er sich für Focus als Stasi-Jäger, schreibt über üble Stasi-Akten von Politikern wie etwa den Artikel "Die Schamgrenze abgesenkt" (Focus vom 19.10.09). Dabei war Tumovec eine ganz große Nummer in derselben Organisation. Für seine ehemaligen Stasi-Kollegen hat er nur noch Spott übrig. Im Focus ist etwa zu lesen, der überführte Stasi-Spitzel Hoffmann stelle sich dumm.  

Dieter Dombrowski (CDU) meint: "Was ich nicht verstehen kann ist, dass Leute, die selbst eine solche Vergangenheit haben, als Journalisten tätig sind. Und dann über andere, letztendlich ehemalige Stasi-Mitarbeiter Recherchen anfertigen und diese sozusagen als Vierte Gewalt im Staate an den Pranger stellen. Das halte ich für zweifelhaft." Hubertus Knabe sagt: "Ich muss sagen, ich verstehe hier auch den Focus nicht, warum man nun ausgerechnet da einen Mann mit dieser Biografie in diese Redaktion holen muss. Genau das macht dann eben auch das Medium insgesamt fragwürdig und lässt Zweifel daran wachsen an der Glaubwürdigkeit. Deswegen empfehle ich allen Medien, insbesondere auch den privaten, hier doch sauber drauf zu achten, dass keine ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in ihren Redaktionen sitzen."  

Von Zapp um eine Stellungnahme gebeten, spottete Focus, wir seien reichlich spät. Dass Tumovec beim Focus arbeite, sei doch seit langem bekannt. Hubertus Knabe: "Das ist ein Totschlagargument, was man oft hört. Das macht die Sache nicht besser. Und ich glaube auch nicht, dass das die anderen Hunderttausenden Leser des Focus wissen."

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 09.12.2009 | 23:05 Uhr

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