Sendedatum: 13.01.2010 23:05 Uhr

Kämpfe um kostenlose Netz-Inhalte

von Anne Ruprecht, Nils Casjens

In einer neuen Runde im Streit zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern geht es um das leidige Thema "neue Verbreitungswege von Nachrichten im Internet". Die Verleger empören sich, dass die Tagesschau per sogenannter App auf einem Handy namens iPhone zu sehen sein soll. Dieses Gerät ist mitnichten in jedem deutschen Haushalt zu finden, sondern gerade einmal im Besitz von 1,2 Millionen Deutschen ist. Worüber reden wir also? Abgesehen davon, kann man die Tagesschau bereits sowieso auf diesem Gerät sehen, nur halt nicht auf der bequemeren Benutzeroberfläche. Zapp über die aufgeblasene Aufregung der Verleger.

Die neue Welt der mobilen Medien: Überall, auch unterwegs, kann man ins Internet und mit den iPhone-Apps, diesen kleinen Bildern, geht es besonders leicht. Darum will jeder dabei sein, auch die Verlage und Sender. Doch die Apps sorgen jetzt für Ärger. Verleger protestieren gegen die ARD-Pläne und fragen, "Wo sind die Grenzen für ARD und ZDF?" (Bild vom 29.12.09), behaupten sogar, Gratis-Apps wie die Tagesschau auf dem iPhone könnten "Tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten"(Focus vom 28.12.09).

Der "taz"-Redakteur Steffen Grimberg meint: "Leicht hysterisch wie immer in diesem Fall. Die Apps sind jetzt die neueste Sau, die durchs Dorf getrieben wird, weil Apps nun in aller Munde sind."Und Anna Marohn von der "Zeit"sagt dazu: "Es geht hier um eine kleine Tagesschau-App, eine Applikation fürs iPhone, und nicht um den Untergang der neuen Medienwelt für die Verleger."

Bequemer mobil ins Netz

Die neue Medienwelt der Verleger, die Apps, sollen dafür der Einstieg sein. Dabei sind das schlicht und einfach kleine Programme. Internetseiten lassen sich so mit einem Klick aufrufen, gut lesbar. Apps sind ein neuer Verbreitungsweg, keine neuen Inhalte. Auch der Springer-Verlag klotzt, um den neuen Markt in Schwung zu bringen. Er wirbt in aufwändigen TV-Spots für seine Bild-App. Das Bild-Monats-Abo kostet 79 Cent im ersten Monat. Die Welt-App gibt es für 1,59 Euro. Am Abend kann man hier die Zeitung von morgen lesen oder das Bild-Girl ausziehen. Auch mit albernen Spielereien wie diesen will Springer Geld verdienen im Internet. Anna Marohn sagt: "Beim Handy ist es normal, dass man für eine SMS zahlt, dass man fürs Telefonieren zahlt und so weiter. Und da ist natürlich die Hoffnung auch viel größer, dass man da auch journalistische Inhalte verkaufen kann.“

Denn die Verlage suchen nach Einnahmequellen. In der Krise sind die Anzeigenerlöse eingebrochen, die Auflagen sinken. Auch die Internetseiten bringen kaum etwas ein, für den Leser ist hier alles umsonst. Mit dem iPhone-App soll er endlich zum Zahlen erzogen werden.

Ein schlechter Zeitpunkt?

Ausgerechnet jetzt kündigt die ARD eine kostenlose Tagesschau-App an - fast beiläufig. Steffen Grimberg: "Die war sicherlich auch etwas schlecht beraten und hat das Ganze etwas dümmlich in die Welt gestolpert. Gerade nachdem kurz vorher Verlage kostenpflichtige Apps vorgestellt haben, kommt die ARD und macht das so en passant, ganz süffisant eine entsprechende Ankündigung: Tagesschau.de demnächst als App und selbstverständlich kostenlos. Das kann man natürlich dann auch in den falschen Hals kriegen.“

Kai Gniffke, Chefredakteur ARD-aktuell, erzählt: "Wenn ich gefragt werde, 'Plant Ihr auch eine Anwendung fürs Iphone?', dann werde ich nicht wahrheitswidrig antworten. Natürlich kann man mal sagen, ob das taktisch wirklich geschickt war, ja. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Taktiererei und Transparenz, entscheide ich mich immer für Transparenz."

Dabei kann man sich schon jetzt tagesschau.de auf dem Handy ansehen. Mit der App sollen dieselben Inhalte lesbarer dargestellt werden. Kai Gniffke: "Wir geben dafür wirklich einen sehr kleinen Betrag aus, für jegliche Verbreitung unserer Inhalte müssen wir Geld ausgeben, dafür bekommen wir die vielen Gebührengelder. Und es ist unsere Aufgabe, sorgsam damit umzugehen und mit diesem Geld auch sicherzustellen, dass die Leute auch einfach unsere Nachrichteninhalte konsumieren können."Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust erklärt: "Wenn das Mediennutzungsverhalten sich so ändert, dass eben die Menschen nicht mehr ausschließlich um 20 Uhr vor dem Fernseher sitzen und auf dem Sofa die Tagesschau einschalten, sondern zeitversetzt mobil die Tagesschau sich ansehen wollen, dann müssen wir dem folgen, sonst würden wir unserem Auftrag nicht gerecht."

Wettbewerbsverzerrung durch die ARD?

Doch die Verleger gehen auf die Barrikaden, sehen sich ihrer Zukunftschancen beraubt. Sie werfen der ARD Wettbewerbsverzerrung vor, finanziert durch die Rundfunkgebühren. Gerne hätte Zapp die Verleger dazu in einem Interview befragt. Doch die Verlegerverbände ließen sich tagelang bitten, wollten ihre Kritik nicht vor der Kamera äußern. Keine Zeit, so die offizielle Begründung. Auch beim Springer-Verlag war niemand zu einem Interview bereit.  In ihren eigenen Zeitungen wettern die Verleger dagegen umso mehr. Sie kritisieren die "ungezügelte Expansion"der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet und die "Grenzüberschreitungen von ARD und ZDF"wie in dem Artikel "Diese Märkte sind für die Verleger überlebenswichtig"in der Welt vom 2. Januar. Peter Boudgoust: "Das, was wir tun, ist ganz klar die Erfüllung unseres Auftrages. Wir müssen auch und gerade jüngere Menschen erreichen, das hat uns der Gesetzgeber buchstäblich in das Gesetz hineingeschrieben, und das können wir nur, wenn wir sie auf den Übertragungswegen und den Plattformen erreichen, die sie nutzen."

Springer Verlag gegen Tagesschau-App

Dennoch kämpft vor allem Springer gegen die kostenlose Tagesschau-App. Tagelang. Sogar auf der Seite eins der Bild wird die App aufgeblasen zum "Irrsinn mit unseren TV-Gebühren"(Bild vom 29.12.09). Ein Kampagnenversuch. Anna Marohn meint: "Weil das dann doch sehr durchschaubar wirkt und wenn man dann auch gleich vom Gebühren-Irrsinn spricht, dann ist das glaube ich dem ganzen nicht zuträglich."Und Steffen Grimberg sagt: "Da gibt es also handfeste wirtschaftliche Interessen und da fühlte man sich offensichtlich von dieser ARD-Ankündigung herausgefordert und hat dann aus vollen Rohren zurückgeschossen."

Das ZDF gerät gleich mit in die Schusslinie. Dass die heute-Nachrichten bisher keine App planen, feiert Bild als Erfolg ihrer Kampagne. "Zeigt da die Kritik an den ARD-Plänen schon Wirkung?"heißt es in dem Artikel "ZDF will keine Gratis-Apps"(30.12.09). Kai Gniffke meint: "Es ist  von aktuellen Planungen die Rede gewesen, die im Moment nicht vorliegen. Aber wenn man wirklich mal fragt 'Werdet Ihr Apps haben?', wird man natürlich eine ganz andere Antwort bekommen."

Im Vorfeld der kommenden Gebührenrunde

Und so gehen die Attacken gegen ARD und ZDF längst in die nächste Runde. Noch in diesem Jahr soll ein neues Gebührenmodell beschlossen werden. Die Verleger erhöhen schon jetzt den Druck - mit Schlagzeilen über "heftige Kritik an ARD und ZDF" (Hamburger Abendblatt, 04.01.10) und immer wieder "GEZ abschaffen" (Tagesspiegel vom 05.01.10). Bild liefert Räubergeschichten über die Zwangs-Abgaben in dem Artikel "Anwalt klagt gegen GEZ-Gebühren"(Bild vom 05.01.10). Die Tagesschau-App - fast schon vergessen.

Bei dem Gezerre um die mobile Medienzukunft und die vermeintlichen Märkte von morgen steht ein Gewinner jetzt schon fest: der iPhone-Hersteller Apple. Steffen Grimberg: "Dass man eine Applikation, die bislang nur auf einem Handy funktioniert, das relativ geringe Teile der Bevölkerung haben, dass darüber so breit berichtet und gestritten wird, das ist kostenlose Werbung."

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 13.01.2010 | 23:05 Uhr

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