Investigative Filmemacher und die Haftungsfrage
Februar, am Rande der Berlinale: Die ARD hatte zur Leistungsschau "Top of the Docs" geladen und präsentierte die dokumentarischen Highlights des vergangenen und laufenden Jahres. "2.165 Stunden Dokumentation oder Reportage, die wir 2017 gemeinsam neu produziert haben - das sind für jeden Tag des Jahres etwa sechs Stunden neues Programm", begann Tom Buhrow, WDR-Intendant und damit einer der Gastgeber, den Abend. Er richtete sich sowohl an die ARD-Kollegen als auch an die anwesenden freien Filmproduzenten, die oft hinter den Filmen stehen, als er sagte: "Ich finde, darauf können wir alle miteinander stolz sein."
Zunehmend klagefreudig
Es geht unter anderem um investigative Dokumentationen wie "Bimbes - Die schwarzen Kassen des Helmut Kohl", "Operieren und Kassieren - Ein Klinik-Daten-Krimi" oder das zu Jahresbeginn ausgestrahlte "Microsoft-Dilemma", auf die die ARD stolz ist. Wie viele andere sind sie Auftragsproduktionen, hinter denen freie Produzenten stecken. Für ihre Filme legen sich die kleinen Firmen mit den großen Playern an: etwa aus Politik und Wirtschaft, mit der Agrar- oder Pharmalobby, mit der Autoindustrie. Und die sind zunehmend klagefreudig.
Wehren sich diese nach Ausstrahlung nun juristisch gegen die kritische Berichterstattung , haftet erst einmal der Produzent, nicht der Sender. Denn herkömmliche Verträge zwischen den Landesrundfunkanstalten und Produzenten sahen bisher immer eine Freistellung der auftraggebenden Anstalten von der Haftung vor. Ein großes Problem, gerade für kleinere Firmen.
Klagen können den Ruin kleiner Firmen bedeuten
"Wenn - und wir haben mehrere Filme über die Deutsche Bank gemacht - die Deutsche Bank uns verklagen würde, dann müsste sie nicht mal durchkommen mit einer Klage und ich hätte so viel mit der Abwehr dieser Klage zu tun, dass ich zu meiner eigenen eigentlichen Arbeit als Produzent, der Stoffe entwickelt und produziert, nicht mehr kommen würde", schildert Filmemacher Stephan Lamby (u.a. "Bimbes") die Lage freier Produzenten. Nicht zu schweigen davon, dass eine erfolgreiche Klage schnell den finanziellen Ruin einer kleinen Firma bedeuten könnte.
Lamby ist Mitglied der Produzentenallianz, die in den vergangenen drei Jahren Gespräche mit den Anstalten geführt hat, um eine neue Regelung für die Haftungsfrage zu finden. Herausgekommen ist eine Selbstverpflichtungserklärung, im Oktober 2017 unterzeichnet von MDR, NDR und RBB, in der die drei Anstalten erklären, bei investigativen Dokumentationen die Produzenten von der Haftung freizustellen.
RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hat sich für diese Vereinbarung eingesetzt: "Wenn es richtig gute Geschichten sind, können die etwas bewegen, das haben wir der Vergangenheit erlebt. Die 'Panama-Papers' sind da ein Beispiel. Es ist wichtig für unser Land, es ist wichtig für die Berichterstattung, es ist Kern unseres Auftrags. Das wollten wir auf eine bessere Grundlage stellen."
Nicht alle ARD-Anstalten unterzeichnen Selbstverpflichtungserklärung
Die sechs anderen ARD-Anstalten - BR, HR, RB, SR, SWR und WDR - jedoch wollten diese Selbstverpflichtungserklärung nicht unterzeichnen. Sie setzten weiterhin auf "am Einzelfall orientierten" Klärungen, hieß es in einem Brief an die Produzentenallianz.
Das reicht Stephan Lamby nicht: "Wir bekommen immer wieder das Signal, in Einzelfällen, natürlich würde man uns schützen. Aber wir können uns nicht darauf verlassen! Wir sind dann vom Goodwill von einzelnen Redakteuren oder Justiziaren abhängig." Er befürchtet am Ende Auswirkungen auf das Programm: Weniger investigative Stoffe, weniger brisante Recherchen - stattdessen risikofreie Filme zu seichteren Themen. "Warum sollte man alleine ins Risiko gehen, um am Ende gar nicht zu wissen ob der Sender zu seinem Wort steht oder nicht. Deshalb brauchen wir einen veränderten Produktionsvertrag." Auch mit den anderen Sendeanstalten.