20 Jahre Wikipedia: Enzyklopädie ohne Profis
Wikipedia ist die Top-Adresse, wenn es um Wissen geht. In zwei Jahrzehnten ist die Seite auf mehr als sechs Millionen Artikel in der englischsprachigen und 2,5 Millionen in der deutschsprachigen Ausgabe gewachsen - erstellt von Freiwilligen. Seit Jahren steht das Portal unter den Top-10 der meistaufgerufenen Seiten. Suchmaschinen wie Google binden Wikipedia prominent ein. Die Enzyklopädie ist allgegenwärtig.
"Es ist beeindruckend, wie viele Leute Wikipedia jeden Tag nutzen", sagt der Jurist Lukas Mezger. Er ist seit 2005 dabei. Mit seinem Vater, einem Mediziner, hat er den Beitrag zu "nukleosid-modifizierten mRNA" angelegt - Spezialwissen für den Corona-Impfstoff. Vor allem leitet Mezger derzeit den spendenfinanzierten Verein "Wikimedia Deutschland", der die Arbeit der ehrenamtlichen Gemeinschaft fördert. Die Wikimedia Foundation mit Sitz in den USA betreibt außerdem die Technik hinter dem Projekt. Das ist für Milliarden Menschen weltweit eine wichtige Anlaufstelle. "Da trägt die Wikipedia-Community natürlich auch ein Stück weit Verantwortung", sagt Mezger.
Wie glaubwürdig ist Wikipedia?
Aber kommt Wikipedia dieser Verantwortung nach? In den vergangenen Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass auch Vertreter aus Konzernen oder Politik mitschreiben. 2014 legte die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung eine Studie zum "Weltwissen im Visier von Unternehmen" vor. Organisationsforscher Leonhard Dobusch, der den Aufstieg der Wikipedia beobachtet hat, sieht Wikipedia bei vielem gut gerüstet: "Man findet heute kaum eine vertrauenswürdigere Quelle als die Wikipedia, während die kommerziellen großen Plattformen wie Youtube und Facebook mit Verschwörungsmythen und Desinformation zu kämpfen haben."
Um glaubwürdig zu sein, so Dobusch, belege Wikipedia alle Fakten in den Fußnoten. Der Schwarm aus Ehrenamtlichen checke im Hintergrund diese "radikale Transparenz". Vor allem Themen, die viele Menschen interessierten, seien "robust gegen Fälschungsversuche". Dobusch sieht aber auch ein Problem: Der Kreis der Ehrenamtlichen, die Wikipedia pflegten, sei bei Weitem nicht vielfältig genug und die Stimmung unter denjenigen, die Wikipedia am Laufen halten, teils abschreckend.
Deutlich mehr Männer
Tatsächlich hat auch Wikimedia herausgefunden, dass sich vor allem Männer aus Industriestaaten engagieren. So kam zuletzt auf neun Autoren nur eine Autorin. Versuche, das mit speziellen Förderprogrammen zu ändern, haben kaum gefruchtet. Dieses Missverhältnis ist auch Journalistin Ferda Ataman aufgefallen, die sich mit Fragen der Migration und Integration beschäftigt und den Verein "Neue deutsche Medienmacher*innen" leitet. Sie hat auch selbst Erfahrung mit Wikipedia gemacht.
"Ich war Fan der Wikipedia, bis ich einen Eintrag über mich selbst entdeckt habe", sagt Ataman. Im zweiten Satz stehe bis heute, dass ihre Eltern aus der Türkei stammten. Bis sie sich mit Freunden eingemischt habe, sei auch ihre Schwester Thema gewesen. "Gerade bei Menschen aus Einwandererfamilien werden die Ahnen, Verwandten, Genealogien aufgezählt. Daran merkt man, wessen Interesse da stattfindet." In den öffentlichen Diskussionen, in der zu jedem Beitrag über Standards diskutiert werde, gehe es teils rau zu. Wer wolle da mitmachen?
"Da Wikipedia ein Massenmedium ist, braucht es unbedingt Verantwortliche im Sinne des Presserechts beziehungsweise Verantwortliche und professionelle Leute, die mit draufschauen und an einigen Stellen moderieren", fordert Ataman. Auch Dobusch rät, bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müssten sich "darum kümmern, dass die Verhaltensregeln, die man sich selbst gegeben hat, wirklich eingehalten werden".
Wikimedia-Vorsitzender Mezger erklärt, "auf jeden Fall" sollten sämtliche Inhalte in Wikimedia-Projekten "ausschließlich von Ehrenamtlichen erstellt und gepflegt" werden. Der Verein arbeite aber daran, Ehrenamtler "besser und professioneller zu unterstützen, zum Beispiel bei der Lösung von Konflikten, bei der Aufnahme von Neulingen oder bei der Erkennung von Fehlern".