Sendedatum: 20.05.2009 23:15 Uhr

Politiker-Pläne: Heftige Proteste gegen Sperrungen im Internet

Anmoderation:

Jetzt gibt es erst mal ein anderes wichtiges Thema: Kinderpornografie im Internet. Ein widerliches Thema und ein immer größeres Problem. Seiten mit perversen Inhalten sind laut BKA sprunghaft angestiegen. Dagegen ist - zumindest öffentlich - natürlich jeder. Allen voran die Bundesfamilienministerin. Und so hat sie in den letzten Wochen für Aufsehen gesorgt. Zusammen mit Internetanbietern will sie das miese Millionengeschäft unterbinden, den Zugang auf Kinderporno-Seiten blockieren. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt vor. Doch viele Experten sind skeptisch. Anne Ruprecht und Tina Schober über gutgemeinte Absichten und eine schlechtgemachte Barriere.

 

Beitragstext:

Kinderpornografie im Internet. Furchtbare Fotos von Kindern: Missbraucht, entwürdigt, sexuell gequält. Ein Skandal, der alle berührt. (Ausschnitt: Pressekonferenz vom 17.4.2009, „Internetsperren für Kinderpornografie“: „Ursula von der Leyen, Bundesfamilienministerin: `Kinderpornografie im Internet ist die Vergewaltigung von Kindern vor laufender Kamera. Es sind Schulkinder, es sind kleine Kinder, es sind Säuglinge, die Opfer werden immer jünger, die Taten werden immer brutaler. Es ist das schiere Grauen.´“ Dieses Grauen will sie nun stoppen. An ihrer Seite mehrere Internetanbieter. Ihre gemeinsame Botschaft: „Ursula von der Leyen, Bundesfamilienministerin (CDU): `Wir wollen nicht länger tolerieren, dass die Vergewaltigung von Kindern massenhaft im Internet in Deutschland abrufbar ist und deshalb die Sperrung dieser Seiten einleiten.“ (Ausschnitt: Pressekonferenz „Kampf gegen Kinderpornographie“ vom 25.3.2009) Und deshalb: Stopp der Kinderpornografie. Das klingt gut, liefert der Ministerin gute Schlagzeilen und schöne Fotos.

Wut der Opfer

Und dennoch gibt es heftige Proteste. Christian Bahls, „Missbrauchsopfer gegen Internetsperren“: „Diese Demagogie, mit dem Sperrbegriff den Leuten zu suggerieren, die Inhalte wären danach weg, das ist einfach unlauter, das geht nicht! Das geht überhaupt gar nicht. Und schon gar nicht bei diesem Thema. Dieses Thema ist extrem brisant und sie treten hier, also die Regierung tritt hier auf den Gefühlen von Opfern herum. Weil wir doch ganz genau wissen, es geht doch gar nicht um uns.“ Also auch nicht um ihn. Christian Bahls wurde als Kind sexuell missbraucht. Er hat jetzt eine Initiative gegründet: „Mogis“ - Missbrauchsopfer gegen Internetsperren. Das Opfer wehrt sich gegen die Politik der Ministerin. Christian Bahls, Verein „Missbrauchsopfer gegen Internetsperren“: „Sie tut eben gerade nichts, tut genau gar nichts. Sie macht jetzt ihr Wahlkampfgetöse. Sie macht genau das was in Familien passiert, wenn ein Missbrauch aufgedeckt wird: Da redet man nicht darüber, das möchte keiner sehen. Und genau das ist es - das möchte keiner sehen und wir tun jetzt ein Stoppschild davor.“ Zeitungsartikel, „Hannoversche Allgemeine Zeitung„ vom 18./19. 04,2009: „Stoppschild gegen Kinderpornografie“, Zeitungsartikel „Kieler Nachrichten“ vom 18.04.2009: „Kampfansage an Kinderpornos im Internet“. Die Wut der Opfer gegen das bloße „Stoppschild“ der Ministerin gegen Kinderpornografie.

Widerstand formiert sich

Aber auch viele Experten wundern sich über die populistische „Kampfansage“. Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht: “Wir sind im Wahlkampf. Und im Wahlkampf zählt die Botschaft an die dumme Bevölkerung: Wir machen das jetzt mal zu, dieser Kram muss da irgendwo verschwinden und deshalb geht es hier auch nicht um effiziente Gesetzgebung. Es geht um reinen Symbolismus, mit dem Blick wir haben bald Bundestagswahl.“ Und deshalb protestieren immer mehr gegen dieses „Stopp“-Gesetz. Sie fordern mehr als nur simple Sperren im Kampf gegen Kinderpornografie. Der Widerstand formiert sich auch im Internet. Eine Petition an den deutschen Bundestag hat Zehntausende mobilisiert. Franziska Heine, Initiatorin „Petition gegen Netzsperren“: „Es war unglaublich, dass innerhalb der ersten 4 Tage diese 50.000 Stimmen erreicht wurden. 50.000 Stimmen braucht man, um vor diesem Petitionsausschuss zu kommen und es war einfach gigantisch. Also die Leute haben so zahlreich gezeichnet diese Petition, dass der Server zum erliegen kam, es ging teilweise gar nichts mehr. Ja, es ist fantastisch.“

Erschreckendes Ergebnis

Mittlerweile unterstützen mehr als 80.000 diese Petition. Das Wahlvolk protestiert online und agitiert gegen die Sperrpläne im Internet. Die Politik reagiert hilflos. (Ausschnitt „Petition: Aktion gegen Internet-Seiten-Sperrung“ vom 08.05.2009: „Theodor zu Guttenberg, Bundeswirtschaftsminister (CSU): `„Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass Menschen sich gegen die Sperrung von kinderpornografischen Inhalten sträuben.´“ Christian Bahls, Verein „Missbrauchsopfer gegen Internetsperren“: „Es ist halt n Totschlagargument. Und so wurde auch die Diskussion geführt. Das ist auch, wie gesagt, einer der Gründe gewesen, diesen Verein zu gründen. Grad wegen der Art und Weise, wie die Diskussion geführt wurde. Mit diesem Todschlagargument. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer dagegen ist, der hat ja irgendwie, der ist ein Kinderpornograf.“ Franziska Heine, Initiatorin „Petition gegenNetzsperren“: „Das stimmt einfach nicht, das haben wir in der Petition ja auch ganz klar formuliert. Wir sind natürlich dafür, dass etwas dagegen getan wird, aber sinnvolle Maßnahmen und nicht so was.“ Nicht so was, wie die geplanten Sperren. Die sollen den Nutzer eigentlich daran hindern, Seiten mit Kinderpornos zu öffnen. Bei der Eingabe der Adresse wird er umgeleitet – auf ein Stoppschild. Ähnliche Sperren gibt es bereits in anderen Ländern. Zapp hat die ausländischen Sperrlisten geprüft. Das erschreckende Ergebnis: viele dieser Kinderporno-Seiten befinden sich auf Servern in Ländern mit wirksamen Gesetzen gegen Kinderpornografie. Demnach müssten diese Seiten nicht nur gesperrt, sondern gleich ganz gelöscht werden.

Löschen statt sperren

Doch sie sind nicht alle gelöscht. Auch diese Seite nicht, eine deutsche Seite: sie führt zu grausigen Kinderpornos - über Links wie “Young-baby-hardcore" oder „No! daddy! stop please!!“. Kinderpornoseiten – seit Monaten auf Sperrlisten und dennoch noch immer im Netz. Nicht nur Opfer sind da empört. Christian Bahls: „Handeln statt wegschauen. Und löschen statt sperren. Sperren bedeutet nicht entfernen. Löschen. Löschen statt sperren. Das ist ganz wichtig, dass die Regierung das begreift.“ Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht: „Es ist auch nicht effizient, weil die technischen Umgehungsmöglichkeiten für solche Sperren, so enorm sind, dass meine Tochter mit zwei Handgriffen solche entsprechenden Sperren umgehen könnte." Und im Internet finden sich dafür die Anleitungen. Videos zeigen, wie mit einigen wenigen Klicks die Browser-Einstellungen so verändert werden können, dass man weiterhin auf die eigentlich gesperrten Kinderpornoseiten zugreifen kann. Schnell und kinderleicht.

„Es ist absurd“

Doch die Ministerin lässt sich davon nicht beirren. Sie posiert weiter mit ihrer Stopp-Parole. Viele Experten macht das ratlos und wütend. Sie wissen um die Gefahren: Alle Nutzer, die auf eine Stoppseite umgeleitet werden, werden erfasst, ihre Daten können an das Bundeskriminalamt weitergeleitet werden. Ein Link zu viel– wenn auch nur aus Versehen: mit schlimmen Folgen. Holger Bleich, Redakteur „c’t-Magazin“: „Im Extremfall kann das also heißen, ich klicke ganz aus Versehen auf so nen Link, sehe das Stopp-Schild und zwei Wochen später habe ich die Polizei im Haus stehen, mit einem Durchsuchungsbefehl.“ Doch das Bundeskriminalamt verfolgt nur die, die auf dieser Stoppseite landen. Die, die sie umgehen, haben nichts zu befürchten. Holger Bleich, „c’t-Magazin“: „Das ist der größte Witz in Tüten eigentlich. Diejenigen, die die Sperre umgehen, werden nicht erfasst. Also, die umgehen ja die Sperre, landen also nicht in diesen Server-Logs, der Strafverfolgungsbehörden und können auch so nicht belangt werden. Also diejenigen, die tatsächlich in böswilliger Absicht Kinderpornografie abrufen wollen, kommen ungeschoren davon.“ Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht Münster: „Es ist also absurd, dass im Grunde nur die armen Schweine erwischt werden, die keine Ahnung haben und 98% ganz fröhlich das tun können, was sie bisher auch gemacht haben. Das zeigt, es geht um symbolische Gesetzgebung und nicht mehr".

 

Symbolische Gesetzgebung mit möglichen Folgen für alle Nutzer. Denn das Internet ist ein Mitmach-Medium. Jeder kann in Foren und auf Plattformen. Inhalte einstellen. Wenn nur einer auf eine verbotene Seite verlinkt, kann das am Ende alle treffen. Holger Bleich, Redakteur „c’t-Magazin“: „Es werden nicht Seiten gesperrt, sondern es werden Domains gesperrt. Sie müssen sich mal vorstellen, zum Beispiel ein Zeitschriftenverlag, der ein Forum betreibt. Da kommt ein Kinderpornografie-Link von irgendeinem Nutzer ins Forum und dann ist der Auftritt des Verlages weg. Das könnte beispielweise auch Spiegel Online passieren. Ein falscher Link - statt Nachrichten gäbe es dann das Stoppzeichen. Oder Studi-VZ: Das Online-Treffen mit Freunden wäre abrupt zu Ende – für alle. Was mit Sperren gegen Kinderpornografie beginnt, kann alle treffen. Darauf machen die Gegner aufmerksam, kämpfen gegen die Zensur. Franziska Heine: „Das ist ganz klar das Problem, dass es eben nicht dabei bleibt. Also wir haben ja jetzt schon von allen möglichen Seiten gehört, was als nächsten kommen könnte. Die Musikindustrie möchte gegen geklaute Musik und Filme vorgehen und das ist erst der Anfang - ganz klar.“ Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht: „Im Hintergrund geht es eben um die Lobby-Leute, aus der Musikindustrie, um die Glückspiel-Leute, um Jugendschutz ganz allgemein, also alle, die warten nur - liegen schon in den Startlöchern und auf reinen Zuruf dieser Leute, sollen dann eben große Teile des Internets abgeriegelt werden.“

Chinesische Verhältnisse

Und hier wird bestimmt, was abgeriegelt werden soll. Im Bundeskriminalamt. Die Ermittler sollen Sperr-Listen erstellen, geheime Listen. Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht: „Es gibt keine richterliche Kontrolle, die ist nicht vorgesehen. Das heißt, eine Behörde hat hier völlig unkontrolliert, von allen freiheitsstaatlichen Vorgaben, die Möglichkeit, ganz große Sperrbereiche aufzubauen und eben die Bevölkerung auszuforschen, was ihr Nutzungsverhalten angeht.“ Eine Ministerin inszeniert sich medienwirksam mit ihrem „Stopp-Schild“ und hofft, dass niemand Fragen stellt. Dass alle glauben, was sie sagt. Bei vielen Demonstranten ist sie längst zur Zensursula geworden. Zu einer Politikerin, die gutes will, aber schlimmes bewirkt. Experten und Internet-Nutzer fürchten am Ende sogar – chinesische Verhältnisse. Thomas Hoeren, Professor für Medienrecht: „Das schlimme nur bei dem ganzen ist, es leiden dabei alle rechtsstaatlichen Freiheiten und es leidet der arme Privatnutzer, der verfassungslos vor dem Internet steht und sagt, warum krieg ich jetzt ganz viele Inhalte nicht mehr, obwohl sie gar nicht verboten sind.“

Missbrauch

Er will, dass endlich tatsächlich etwas geschieht – gegen Kinderpornografie. Christian Bahls weiß längst: Simple Stopp-Schilder bewirken nichts. Christian Bahls: „Das ist genau dasselbe, was in Familien passiert, wenn ein Missbrauch passiert. Das wird einfach geleugnet, da wird dem Kind nicht geglaubt, da wird eben lieber anstatt einer Verfolgung – wird eben lieber ein Mantel darüber gelegt, und genau das ist hier der Fall. Die Regierung vollzieht im Großen nach, was im Kleinen in einer Familie passiert, in der Missbrauch geschieht.“

 

Abmoderation

Natürlich hätten wir gerne mit der Bundesfamilienministerin über das Thema gesprochen. Vor unserer Kamera! Doch, Sie ahnen es, sie nicht mit uns. Mehr Informationen finden Sie aber im Internet unter ndr.de/zapp.‚

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 20.05.2009 | 23:15 Uhr

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