Die Opfer einer Doku-Soap
Das Zusammenleben in Deutschland muss echt die Hölle sein, jedenfalls wenn man dem Privatfernsehen glaubt. Menschen schreien entweder ständig ihre Kinder an, befinden sich im Stellungskrieg mit ihrem Nachbarn oder möchten nichts lieber, als den Partner einer wildfremden Familie aussetzen - wie bei Frauentausch auf RTL 2. Da wechseln zwei sich unbekannte Männer mal eben vor laufender Kamera die Ehefrau. Das geschieht natürlich immer reibungsvoll und unter Einsatz möglichst vieler Tränen. Und wenn es die Wirklichkeit nicht hergibt, dann helfen die Macher eben nach - auf Kosten der Familien. Zapp hat mit zwei Männern gesprochen, die einmal durch die RTL2-Familienhölle gegangen sind.
Woche für Woche tauschen zwei Frauen Haushalt und Familien. Seit sechs Jahren gibt es die Sendung "Frauentausch" bei RTL2. Das Prinzip ist immer gleich: Unterschiedliche Lebenswelten treffen aufeinander. Je mehr es kracht, umso vielversprechender die Quote. André Roß, ehemaliger Teilnehmer der Sendung, erzählt: "Wir haben so viele Leute gesehen, von denen wir eigentlich gedacht haben: Hallo, so kann es doch da überhaupt nicht abgehen in der Realität, und wollten eigentlich den Leuten zeigen, dass es auch Familien gibt, in denen es Harmonie gibt, in denen es Liebe gibt und nicht immer nur Streit." André Roß bewirbt sich, seine harmonische Beziehung soll ganz Fernsehdeutschland sehen. Freundin Ester macht sich für RTL2 auf den Weg in die Tauschfamilie. Was André und Ester nicht ahnen: Harmonie und Liebe bringen keine Quote und so präsentiert RTL2 das glückliche Paar als streitsüchtige Verlierer. Der Off-Kommentator sagte in der Sendung vom Januar 2009 etwa: "Frust statt Frieden ist dagegen das Motto der Familie Butenhoff-Roß aus Bremen. Und hier ist die Ursache allen Übels, der arbeitslose André, 38. Zerrüttete Jung-Familie aus Norddeutschland tauscht mit Glückspilz-Clan aus dem Taunus."
Konflikte für die Quote
André Roß erklärt: "Ich mache dem Sender zum Vorwurf, dass er um dieser Produktion willen bewusst Konflikte schürt. Dass er Menschen an seine emotionalen Grenzen bringt, ohne zu wissen, oder daran zu denken, welche Folgen es für diese Menschen hat." Joan Kristin Bleicher, Professorin für Medienwissenschaft, meint: "Es scheint mir ein grundlegendes Problem zu sein, dass die Kandidaten glauben, ihre Familien würden so dargestellt, wie sie sind. Es handelt sich um eine Inszenierung und es handelt sich um eine Geschichte, die erzählt wird, es handelt sich um Konflikte, die dargestellt werden, aber es handelt sich nicht um ein reales Abbild des Familienlebens."
Inszenierte Konflikte, gestellte Szenen: Naiv und ahnungslos lässt sich das Paar darauf ein. André Roß erzählt: "Man kann überhaupt nicht das sagen, was man will. Wenn man es nämlich tut, wird es solange gemacht, bis es so ist, wie der Realisator es haben will." Der Realisator ist der Autor vor Ort, er gibt Regieanweisungen manchmal bis zu zwölf Stunden am Tag. Für viele Familien ist das ein Alptraum. Sie sind dem Stress nicht gewachsen, machen alles mit, so wie André Roß.
Joan Kristin Bleicher erklärt: "Man hat schon fast die Regieanweisung im Ohr, wenn man die Menschen dort weinen oder schreien sieht, weil das ist kein normales Verhalten. Und man merkt auch häufig, sie blicken in die Kamera dabei." Je mehr Tränen, desto besser. Männer weinen, Frauen keifen, Paare streiten. André Roß bricht irgendwann vor laufender Kamera zusammen. Die Provokationen der Tauschmutter, die ständigen Anweisungen des Teams, der Druck ist einfach zu groß. In der Sendung ist dann zu sehen wie Andre sagt: "Ja ich bin ein Mann, der sich seinem verdammten Schicksal ergibt. Ich bin ein Mann, der den Arsch nicht hochkriegt. [...] Was los ist? Ich bin emotional total im Arsch."
André Roß erklärt heute: "Heulende Männer oder heulende Frauen wollen die Zuschauer sehen. Die Zuschauer fragen sich aber nicht, aus welchem Grund diese Leute weinen. Diese Leute weinen nicht, weil sie das Gefühl haben, irgendwas falsch gemacht zu haben, diese Leute weinen, weil sie an den Rand ihrer Verzweiflung gebracht wurden."
Joan Kristin Bleicher sagt: "Und der Schnitt lässt es dann uns glauben, dass ein Konflikt diese Verzweiflung herbeigeführt hat. Tatsächlich sind da Ereignisse aneinandermontiert, die gar nichts miteinander zu tun haben."
Die Reality-Falle
Frauentausch brachte auch Mario Holländer an den Rand der Verzweiflung. Auch seine Familie tappte in die Reality-Falle. Mario Holländer erklärt: "Es wird nichts vom normalen Leben dargestellt. Also, alles, was man macht in diesen Tagen von Drehtagen, von irgendwie morgens 8 bis abends 23, 23.30 Uhr ist mehr oder weniger eine Anweisung. Immer so ein grundsätzliches ‚Ihr könntet doch mal, jetzt könnten wir doch mal dies, könnten wir mal das’." Die Holländers spielen anfangs gutgläubig mit. Zu spät merken sie, was die Macher vorhaben. Sie stehen plötzlich als faule und dreckige Familie da. In der Sendung vom Juni 2009 sagt der Off-Kommentator: "Ordnung ist im Hause Holländer maximal das halbe Leben. Geputzt wird nach Bedarf und der ist subjektiv. Papa Marios Nachfrage in Sachen Sauberkeit geht jedenfalls gegen null. Und Anjas Ordnungssinn ist bestenfalls halbherzig." Grausige Musik, schnelle Schnitte, schwarz-weiß-Bilder - Dreck wird dramatisch in Szene gesetzt. Selbst die absurdesten Inszenierungen sind den Machern offensichtlich nicht zu peinlich: So findet sich Müll im Mülleimer.
Echtes Entsetzen bei Mario Holländer als er nach dieser Szene durchschaut, welche Rolle ihm die Macher aufzwingen wollen. Er bekommt einen Nervenzusammenbruch und bricht die Dreharbeiten ab, wirft das Kamera-Team raus. Mario Holländer: "Es war so, dass nachdem meine Frau dann auch abgebrochen hatte, hat man noch mehrmals versucht, sie zu Schlussinterviews und mich auch zu Schlussinterviews zu überreden, damit die Sendung vollständig wird." Doch die Holländers können und wollen nicht mehr. Das verschweigt RTL2. Schamlos werden am Schluss Bilder der ersten Drehtage benutzt und fies und herablassend kommentiert: "Zurück in den eigenen vier Wänden stürzen sich Anja und Mario wie gewohnt ohne viel Worte zu verlieren in ihr eingefahrenes virtuelles Leben. Frauentausch als Chance auf Veränderung. Das ist an Familie Holländer komplett vorbeigegangen."
Lug und Trug, entwürdigend für Familie Holländer. Ihr Ruf ist nach der Ausstrahlung ruiniert. Sie wissen sich nicht mehr zu helfen und erstatten Strafanzeige. Doch ohne Erfolg.
Alle Rechte abgetreten
Auch André Roß fürchtet sich vor der Willkür der Macher und hat Angst vor der Ausstrahlung. "Natürlich habe ich versucht, die Sendung zu verhindern. Aber durch den Realisator wurde mir mitgeteilt, dass das überhaupt nicht möglich ist, da die Anwälte von RTL2 das schon durchsetzen würden, dass die Sendung ausgestrahlt wird. Und der Vertrag, den man dort unterschreibt, der ist so wasserdicht, dass man dagegen auch gar nichts machen kann.", erklärt er. In der Tat, wer diesen Vertrag unterschreibt, tritt quasi alle Rechte ab. Die Teilnehmer sind den Machern ausgeliefert. Ein normales Privatleben ist unmöglich. So heißt es im Vertrag: "Der Vertragspartner verpflichtet sich, während der Tauschphase weder zu den Vertragspartnern noch zu sonstigen Familienangehörigen, Verwandten oder Bekannten Kontakt aufzunehmen." Und: "Die Vertragspartner verzichten während der Tauschphase auf ihre Mobiltelefone, welche sie dem Produzenten auf Anforderung zur Verwahrung überlassen werden."
Getäuscht und gedemütigt, so fühlen sich Mario Holländer und André Roß seit der Ausstrahlung. Zwei Medienlaien von Medienprofis manipuliert. Die Folge sind Anfeindungen und Beleidigungen. Nun kämpfen sie um ihre verlorene Ehre. André Roß meint: "Unser Bekanntenkreis, das wissen wir, die können uns einschätzen. Aber was denkt der Rest von Deutschland von uns? Wie stehen wir in Deutschland da? Das interessiert bei RTL2 niemanden." Und Mario Holländer sagt: "Man hat jetzt auch immer so’n bisschen das Gefühl des Verfolgt seins und hat halt ständig Angst vor Wiederholungen dieser Ausstrahlung. Weil dann dieser Hass von neuem aufflammt."
Selbstverständlich hatten wir RTL2 um eine Stellungnahme gebeten. Aber keiner der Verantwortlichen des Senders war bereit, Zapp ein Interview vor der Kamera zu geben.