Presserecht: Die "Kammer des Schreckens"
Rolf Schälike ist Rentner und kommt aus dem Osten. Er hat die DDR vor der Wende verlassen, weil er dort nicht sagen durfte, was er wollte. Nun kämpft er in Hamburg für die Meinungsfreiheit. Seine Waffe: das Wort. Schälike ist einer der zahlreichen Hobbyjournalisten, die eine eigene Internetseite betreiben - und damit eine gewisse Bekanntheit erreicht haben. Manche nennen ihn einen Gerichtstroll. Er sagt über sich: "Die Gesellschaft muss das aushalten, solche Leute wie mich zu vertragen - und ich bin nicht der einzige."
Totale Meinungsfreiheit
Auf seiner Internetseite beschreibt er die Urteile der Hamburger Pressekammer. Was heißt beschreibt? Er kritisiert, geißelt, verspottet. Denn er versteht beispielsweise nicht, warum die Presserichter der Nachrichtenagentur DDP verboten zu schreiben, dass Gerhard Schröders Haare womöglich gefärbt sind? Oder warum die Presserichter Google anhielten, die Sex-Fotos des Ex-Sportfunktionärs Max Mosley von seinen Seiten zu löschen? Ist das nicht alles von der Meinungsfreiheit gedeckt?
Das Hamburger Pressegericht gilt unter Journalisten als eines der größten, härtesten und pressefeindlichsten der Republik. Manche nennen es die Kammer des Schreckens. Schälike ist mindestens einmal die Woche hier. Heute geht es um den Presserechtsfall des Jahres 2016. Den Fall Erdogan gegen Böhmermann. Der türkische Präsident gegen einen Satiriker. Persönlichkeitsschutz gegen Meinungsfreiheit.
Die Richter werden entscheiden müssen, ob Böhmermanns Gedicht tatsächlich eine Beleidigung war. Erdogan will das Gedicht untersagen lassen - Schälike natürlich nicht. Er findet, dass jede Äußerung erlaubt werden muss: Rassismus, Sexismus, falsche Behauptungen, Lügen, Beleidigungen - absolute Meinungsfreiheit.
"Das ist sein gutes Recht"
Die Anwälte, die die Betroffenen vertreten, sehen das naturgemäß anders. So zum Beispiel Rechtsanwalt Ralf Höcker: "Worte sind sehr wirkmächtig, können verletzen, können Menschen im Extremfall in den Selbstmord treiben. Es gibt Fälle, die ich hier in der Kanzlei erlebt habe, wo tatsächlich mit Worten Existenzen zerstört wurden. Worte sind also auf keinen Fall zu unterschätzen." Höcker kennt Schälike: "Er ist so etwas wie das Maskottchen der Hamburger Pressekammer. Hier in Köln ist er auch manchmal. Mit mir hat er sich auch schon inhaltlich auseinandergesetzt - und publizistisch. Soll er das machen. Das ist sein gutes Recht. Mich stört das nicht.“
So nett redet sonst keiner über ihn. Die meisten Anwälte haben sich geweigert, uns ein Interview zu geben, und das Gericht hat lange mit einer Drehgenehmigung gezögert. Denn das ganze Presserecht ist für Schälike ein Witz: "Die ganze Pressekammer ist eine Zensurkammer", meint er. "Es müsste nicht heißen Presserecht. Es müsste heißen Zensurrecht."
180.000 Euro Prozesskosten
Schälike schreibt gegen die Entscheidungen an, gegen die Richter, die Anwälte, die Prominenten, gegen diese ganze Welt. Die Richter nennt er auf seiner Internetseite: "Zensoren in Robe". Die Anwälte: eine "Kaste fieser kranker Typen". Die Prozesse: "Realsatire". Das Problem: Oftmals versteht Schälike die Urteile offenbar nicht richtig - oder liegt mit seinen Einschätzungen weit daneben. Die Fehler in seinen Texten haben schon Horden von Medienanwälten beschäftigt, die Verfahren ihn schon viel gekostet: 180 000 Euro hätte er bislang verloren. Ob er das bereut? "Nein", sagt er, "ich kann es aber niemanden empfehlen."