Fotomontage von Alexej Nawalny vor Moskauer Kreml © dpa picture alliance/Tass Foto: Sergei Fadeichev

Google löschte Nawalny-App nach Drohungen gegen Mitarbeiter

Stand: 23.09.2021 10:00 Uhr

Google und Apple werden auch nach der russischen Parlamentswahl massiv kritisiert, weil sie die App "Smart Voting" des inhaftierten Putin-Gegners Alexei Nawalny vor der Wahl aus ihren russischen App Stores gelöscht hatten. Was führte dazu, dass sich die Tech-Unternehmen nach Wochen dem Druck durch die russische Regierung beugten?

von Lea Eichhorn

Offiziell haben sich bisher weder Google noch Apple zu dieser Frage geäußert. Auch eine schriftliche Anfrage blieb unbeantwortet. Der Vorgang ist politisch heikel, weil er die Meinungsfreiheit berührt. Eine dem Fall nahestehende Person, die nicht identifiziert werden möchte, erklärte jedoch gegenüber ZAPP: Russische Regierungsbeamte hätten Google-Mitarbeiter*innen vor Ort persönlich strafrechtliche Konsequenzen bis hin zu Gefängnisstrafen angedroht, sollte das Unternehmen die "Smart Voting"-App nicht aus seinem App Store entfernen. Die Entscheidung, der Forderung nachzukommen, sei aus Nötigung gefällt worden, so die anonyme Quelle. Am Morgen der Wahl war die App in den App Stores von Google und Apple nicht mehr verfügbar.

Autoritäre Staaten üben Druck auf Plattformen wie Google aus

Der Medienrechtler Matthias Kettemann steht vor einem Bücherregal. © NDR Foto: Folko Damm
Ist überrascht, dass Google und Apple nachgegeben haben: Medienrechtler Matthias Kettemann.

Matthias Kettemann forscht am Hamburger Hans-Bredow-Institut seit Jahren zu Regelungsstrukturen im digitalen Raum. Ihn hat es überrascht, dass Google und Apple in diesem Fall nachgegeben haben. In der Vergangenheit hätten sie politischem Druck im Wesentlichen widerstanden. Er habe aber in den letzten Monaten beobachtet, dass autoritäre Staaten immer mehr Druck auf Plattformen ausüben. Es habe auch eine neue Qualität, erklärt Kettemann, wenn auf politischen Druck hin gleiche eine ganze App entfernt würde. "Da haben Google und Apple eine ganz große Macht darüber, wie Menschen kommunizieren können, das wirkt sich unvergleichlich schwerer aus, als wenn es um einzelne Inhalte auf einer Plattform geht."

Wie "Bloomberg" berichtet, sorgte die Entscheidung auch unter Google-Mitarbeiter*innen für großen Unmut. "Früher waren sie gut darin sich solchen Dingen zu widersetzen", zitiert Bloomberg den ehemaligen Google-Mitarbeiter William Echikson, der in leitender Position für Belange der freien Meinungsäußerung zuständig war. "Aber vielleicht gibt es nicht mehr den gleichen Idealismus im Unternehmen wie früher. Ich glaube, sich Regierungen gegenüber zu behaupten, ist keine Priorität mehr." Die Autoren des Artikels verweisen auf eine ähnliche Situation, in der sich Google 2010 befand. Damals entschied das Unternehmen, sich wegen der restriktiven Zensurvorhaben in China größtenteils aus dem Land zurückzuziehen.

Google eigentlich große Verhandlungsmacht in Russland

Anders als in China hätte Google in Russland durchaus eine große Verhandlungsmacht, meint Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen. "Weil es dort nicht einfach so Netzwerke gibt, die das alles ersetzen können. Wenn jetzt Google sagen würde, dann ziehen wir uns zurück und machen YouTube zu, dann gäbe es ein Problem in diesem Land." YouTube erfreue sich in Russland großer Beliebtheit, so Gruska. Nach Angaben des Online-Portals "statista" generierten russische User im Juli 2021 rund fünf Prozent des gesamten Traffics auf YouTube. Dessen ungeachtet gehen russische Behörden immer stärker gegen westliche Plattformen vor, besonders im Zusammenhang mit Protesten rund um die Organisationen von Kremlkritiker Nawalny.

Der wunde Punkt sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort

Bereits am 2. September hatte die russische Aufsichtsbehörde für Informationstechnologie und Massenkommunikation Roskomnadzor beide Unternehmen aufgefordert, die App aus ihren App Stores zu entfernen. Die "Smart Voting"-App sollte es russischen Wählerinnen und Wählern ermöglichen, ihre Stimme gezielt jenen Kandidaten zu geben, die in ihren Regionen die aussichtsreichsten Chancen gegen die Kandidaten von Putins Partei "Einiges Russland" hatten.

Der Inhalt der App sei illegal und ziele darauf ab, in die anstehende Parlamentswahl einzugreifen, so Roskomnadzor. Die Aufsichtsbehörde drohte den beiden Unternehmen mit Geldstrafen von bis zu vier Millionen Rubel (rund 55.000 Dollar), sollten die Tech-Giganten der Forderung nicht nachkommen.

Das sei verglichen mit etwa kartellrechtlichen Geldstrafen in der Branche keine empfindliche Strafe, so Forscher Ketteman. Der eigentliche "wunde Punkt" der Unternehmen seien jedoch die Mitarbeiter*innen vor Ort. "Wenn die Menschen, die dort arbeiten, wenn die bedroht werden, persönlich, dann ist das für die Plattformen ganz schwer, hier Prinzipien-Entscheidungen zu treffen." Aus wissenschaftlicher Perspektive wünsche er sich, dass die Unternehmen bei diesen Entscheidungen Grund- und Freiheitsrechte in den Vordergrund stellten. Aber aus unternehmenslogischer Sicht könne er verstehen, dass die Unternehmen so gehandelt haben.

"Der bad boy hier ist in jedem Fall der Staat und nicht die Plattformen. Die Staaten, die die Plattformen vor derartige Entscheidungen stellen, die sind das Problem", sagt Matthias Kettemann. Dass so große Unternehmen wie Apple und Google jetzt nachgegeben hätten, verschlechtere zudem in zukünftigen Situationen den Handlungsspielraum. "Wenn eine Plattform einmal eingeknickt ist, ist es für sie beim nächsten Mal sehr schwer, sich auf Prinzipien zu berufen und nein zu sagen." Ulrike Gruska sieht die Plattformen trotzdem ganz klar in der Pflicht, demokratische Werte zu vertreten. Schließlich seien diese Werte ihr zentrales Verkaufsargument.

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 26.08.2020 | 23:20 Uhr

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