Ägypten: Verbotene Beschneidung junger Frauen
Rebekka Macht von Amnesty International im Interview mit den Weltbildern.
Statistiken sprechen davon, dass bis zu 90 Prozent der ägyptischen Frauen beschnitten seien - eine ungeheure Zahl. Wie ist das zu erklären in einem Land, im dem ein großer Teil der Bevölkerung "modernen Lebensformen" scheinbar aufgeschlossen gegenübersteht?
Rebekka Macht: Amnesty International betrachtet weibliche Genitalverstümmelung (FGM - Female Genital Mutilation) als eine der mit am weitesten verbreiteten Arten von Gewalt gegen Frauen. Sie wird in den praktizierenden Ländern in allen gesellschaftlichen Schichten durchgeführt. Als Rechtfertigung wird meistens die "ungezügelte" weibliche Sexualität angeführt, welche durch die Genitalverstümmelung für den Mann unter Kontrolle gebracht werden kann. Eine Beschneidung gilt meist als Voraussetzung für eine Heirat. Diese bedeutet wiederum die soziale und wirtschaftliche Absicherung sowohl für die Mädchen und Frauen als auch für ihre Familien. Unbeschnittenen Frauen droht die gesellschaftliche Ausgrenzung. Neueren Statistiken zufolge sind in Ägypten Mädchen und Frauen aus ärmeren Haushalten eher von FGM betroffen, als Mädchen aus wohlhabenderen Familien (Unicef 2013). Für Ägypten muss außerdem herausgestellt werden, dass 77 Prozent der Verstümmelungen von medizinischem Personal - also "professionell“ - durchgeführt werden, dies zeugt von einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz der Praxis.
Nach einem Rückgang der Beschneidungen in den letzten Jahren, soll sich die Zahl unter der Regierung Mursi wieder erhöht haben. Können Sie diese Entwicklung bestätigen? Und, auch unter Christen scheinen Beschneidungen von jungen Mädchen verbreitet zu sein. Das hat uns überrascht, ist diese Praxis kein islamisches Ritual?
Macht: Weibliche Genitalverstümmelung ist in Ägypten seit 2007 gesetzlich verboten. Unter Mursi kam es wieder vermehrt zu Forderungen nach der Legalisierung. Aus Sicht von Amnesty bezeugt die enorm hohe Zahl der betroffenen Frauen und Mädchen in Ägypten jedoch letztendlich, dass das Problem grundsätzlich angegangen werden muss. FGM wird oft fälschlicherweise als religiöse, insbesondere islamische, Tradition angesehen. Sie wird jedoch unabhängig von religiöser oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit ausgeübt. So sind in Ägypten über 90 Prozent der Muslima und über 70 Prozent der Christinnen betroffen. Zudem haben sich bereits hohe islamische Geistliche, auch in Ägypten, gegen die Genitalverstümmelung ausgesprochen. Der Großimam von der Al Azhar Universität in Kairo bestätigte beispielsweise im Jahr 2011, dass diese Praxis nicht zum Islam gehört.
In unserem Beitrag zeigen wir Aufklärungskampagnen rund um das Thema und man erfährt, dass Beschneidungen eigentlich verboten sind. Reicht das aus, um künftig junge Mädchen vor Beschneidungen schützen zu können?
Macht: Amnesty International fordert Regierungen weltweit dazu auf, weibliche Genitalverstümmelung wirksam zu verbieten und Mädchen und Frauen ausreichenden Schutz davor zu gewähren. Neben der konsequenten Durchsetzung der Gesetze, ist es ebenso zentral, FGM als Asylgrund weltweit anzuerkennen sowie präventive Maßnahmen vorzunehmen. Um die Praxis langfristig zu beseitigen, muss zum Beispiel eine weitgehende Sensibilisierung für das Thema innerhalb der Gesellschaften stattfinden, indem beispielsweise Eltern, Gemeinschaften, Ärzte, Lehrer und Geistliche über FGM aufgeklärt werden bzw. selbst in die Lage versetzt werden, zu sensibilisieren. In Ägypten existiert vom "National Council for Childhood and Motherhood” seit 2003 das Programm “The FGM-Free Village Model”, welches unter anderem darauf abzielt, ein Bewusstsein für die schwerwiegenden Folgen bei den Familien zu schaffen.
Bildung gilt als Schlüsselelement, um Genitalverstümmelung als Menschenrechtsverletzung zu erkennen: "Kenne Deine Rechte“ ist somit besonders wichtig, um Frauen und Mädchen wirkungsvoll zu schützen.
Das Interview führte Hendrik Backhus.