Iran: Kein Schritt ohne Drehgenehmigung
Natalie Amiri ist seit Juni 2015 für die ARD zuständig als Berichterstatterin für den Iran und moderiert zudem seit März 2014 den Weltspiegel und den Euroblick, eine Sendung des Bayerischen Rundfunks. Sie hat Orientalistik mit dem Schwerpunkt Iranistik studiert und arbeitete anschließend zwei Jahre in der Pressestelle der deutschen Botschaft in Teheran. Amiri spricht sechs Sprachen, darunter auch Farsi (Landessprache im Iran) und Arabisch.
Auf Twitter können Sie Natalie Amiri folgen unter: @NatalieAmiri.
Wenn Sie im Iran für Ihre Berichte recherchieren und drehen - wie unabhängig können Sie sich bewegen?
Natalie Amiri: Das hängt immer vom Thema ab. Generell gilt, ohne Drehgenehmigung, die vom Ershad Ministerium (Anmerk. d. Red.: Ministerium für Kultur und Islamische Führung) ausgestellt wird, geht nichts. In keinem Land, in dem ich bisher gearbeitet habe, wird man so schnell auf der Straße auf diese Drehgenehmigung angesprochen wie im Iran. Nicht von zivilen Personen. Spannend ist, umso weiter raus man sich aus den großen Städten bewegt, umso offener werden die Menschen, sie sprechen weniger eingeschüchtert mit uns. Es gibt klare rote Linien in der Islamischen Republik für die Berichterstattung. Jeder Journalist muss selbst entscheiden, ob er einen einzigen reißerischen Bericht machen will und dann nie wieder kommen kann, oder ob er die roten Linien beachtet und trotzdem noch über Wahrheit und Realität des Landes recherchieren und berichten kann. Es gibt viel zu erzählen.
Inwieweit sind die Behörden über Ihre Arbeit informiert?
Amiri: Mit einer Drehgenehmigung in Teheran können wir uns frei bewegen. Die Behörden sehen unsere Beiträge erst, wenn sie ausgestrahlt werden. Man spürt jedoch bei bestimmten Themen, dass ein wachendes Auge auf uns gerichtet ist. Würden wir jedoch versuchen, ein Interview mit dem unter Hausarrest stehenden ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mousavi zu bekommen, wir wären innerhalb von Minuten in Gesellschaft des Geheimdienstes.
Gibt es heikle - beispielsweise politische - Themen, die Ihre Interviewpartner in Gefahr bringen könnten?
Amiri: Das wägen wir immer sehr gut ab. Meistens wissen die Protagonisten selbst sehr gut Bescheid, wie weit sie gehen können, ob sie überhaupt mit uns sprechen dürfen. Im Jahr 2009 gab es ein allgemeines Interview-Verbot für Iraner mit ausländischen Medien. Es war die Zeit der grünen Bewegung, in der die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gingen, um gegen Wahlbetrug wie sie sagten, zu demonstrieren. Während dieser Zeit war es extrem schwer, überhaupt zu berichten. Heute hat sich die Situation etwas verbessert. Trotzdem kommt es immer noch oft vor, dass wir Politik-Experten anrufen, die uns dann sagen, dass sie leider nicht sprechen dürfen.
Man sieht Sie meistens mit Kopftuch während der Dreharbeiten, aber auch in Live-Schalten mit der Tagesschau. Warum?
Amiri: Im Iran ist jede Frau, iranisch, deutsch, amerikanisch, per Gesetz dazu verpflichtet, ein Kopftuch zu tragen. Selbst hochrangige Politikerinnen müssen dies tun. Cathrin Ashton (Anmerk. d. Red.: britische Politikerin) zum Beispiel: Sie war im Zuge der Nuklearverhandlungen zu Gesprächen in Teheran und trug Kopftuch. Gäbe es also einen Besuch in nächster Zeit von Angela Merkel, sie müsste ein Kopftuch aufsetzen.
Sie sind als Frau im Iran, vor Ihnen waren bislang für die ARD nur Männer für dieses Berichtsgebiet tätig: Wie würden Sie den Umgang mit Ihnen beschreiben?
Amiri: Manchmal ist es hier auch von Vorteil eine Frau zu sein. So ist die Berührung zwischen Mann und Frau in der Islamischen Republik nicht gewünscht. Nicht selten gibt es eine große Menschentraube von Journalisten um einen Interviewpartner, so müssen sie für mich eine Gasse bilden und ich komme nahe dran. Klar gibt es aber auch Nachteile, so muss ich immer beim Freitagsgebet meinen Kameramann alleine schicken, weil Frauen dort keinen Zutritt bekommen.
Wie reagieren die Menschen auf Sie?
Amiri: Sehr sehr freundlich. Die meisten Iraner lieben Deutschland. Generell sind die Menschen hier sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Mir hat bisher noch kein einziger Tourist, der mir im Iran begegnet ist, etwas Gegenteiliges erzählt.
Sie sprechen fließend Farsi, woher rührt Ihr Interesse für den Iran?
Amiri: Ich bin Halbiranerin. Mein Vater ist vor 50 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Der Iran hat mich immer interessiert. Schon als kleines Kind, so erzählen meine Eltern, bin ich Koffer packen gegangen, als in der Tagesschau Bilder aus dem Iran gezeigt wurden. Dass die Bilder damals Revolution und Krieg zeigten, hat mich wohl nicht sonderlich abgeschreckt. Da mein Vater nur Deutsch mit mir sprach, habe ich das Studium der Iranistik in Bamberg begonnen und durch einen Diplom-Abschluss in Orientalistik die persische Sprache verinnerlicht.