"Jeder scheint nur an sich zu denken"
Bevor Ariane Reimers 2010 als ARD-Korrespondentin nach China ging, war sie unter anderem langjährige Reporterin für das Politmagazin "Panorama" und anschließend als Korrespondentin in Singapur. Reimers hat ihr Hobby - das Radfahren - in ihren Job integriert und ist im vergangenen Jahr zum zweiten Mal durch China geradelt. Im Interview erzählt sie von ihrem Korrespondenten-Alltag in diesem faszinierenden und auch oft schwer zu verstehenden Land und seinen Bewohnern.
Auf Twitter können Sie Daniel Hechler folgen unter: @AriReimers.
Frau Reimers, was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Ariane Reimers: Schwierige Frage, weil mich sehr viel in China beeindruckt. Vielleicht ist es der rasante Aufstieg, die Geschwindigkeit, mit der die Chinesen ihr Land nach dem Schrecken und Chaos der Kulturrevolution aufgebaut haben. In großen Teilen ist China heute ein modernes Land mit einer hervorragend ausgebauten Infrastruktur. Die Metropolen Peking, Shanghai, Guangzhou, etc. bieten den Komfort einer Weltstadt.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Reimers: Die Rücksichtslosigkeit und der Egoismus vieler Chinesen, der sich in so vielen Alltagssituationen beobachten lässt: Beim Drängeln um den besten Platz, beim Weggucken zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall, bei der fehlenden Hilfsbereitschaft untereinander. Jeder scheint nur an sich und seine Familie zu denken, Mitmenschen, egal in welcher Notsituation, sind egal. Natürlich gibt es auch Ausnahmen.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Reimers: Es ist keine einzelne Geschichte, die mir am Herzen liegt. Vielleicht trifft am ehesten, dass ich den Wandel beschreiben möchte, den die chinesische Gesellschaft auf so vielen verschiedenen Ebenen durchlebt. Seit der Öffnung des Landes Ende der 70er-Jahre ist China von einem armen Agrarland zu einer erfolgreichen Schwellennation aufgestiegen. Hunderte Millionen Menschen sind in Städte gewandert, die Urbanisierung einer riesigen Region vollzieht sich in wenigen Jahrzehnten. In diesem Prozess gibt es Gewinner - nicht nur die Superreichen - auch eine bald 200 Millionen Menschen starke Mittelschicht und es gibt Verlierer, die an der Erfolgsgeschichte Chinas nicht teilhaben. Über allem thront eine Partei, die um jeden Preis an der Macht festhält und jeden sich organisierenden Widerspruch im Keime erstickt. Dieses Spannungsfeld will ich begreifen und in Fernsehberichten vermitteln.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Reimers: China ist trotz seiner wachsenden Bedeutung den Menschen in Deutschland fremd - auch den Redaktionen. "Nachrichten" im klassischen Sinne gibt es kaum, politische Geschichten sind kompliziert zu erzählen und zu erklären. Bereits bekannte Themenfelder wie Umwelt,Luftverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen, etc. sind den Redaktionen einfacher als Thema zu vermitteln als andere Geschichten. Das gilt weniger für den Weltspiegel als vielmehr für die Nachrichten(magazin)sendungen.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Reimers: Kissen und eine Nackenrolle. Die Flugzeugsitze sind oft alt und durchgesessen. Dann sitzen wir stundenlang im Auto … China ist groß.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Reimers: Natürlich: Enten- und Hühnerfüße, Schweineohren (nein, nicht das leckere Gebäck), Bienenlarven, diverse Insekten, Seegurke. Bei vielen Sachen habe ich lieber nicht gefragt. Und jede Menge "baijiu", ein Reis-Hirseschnaps
Welcher ist Ihr Lieblingsplatz in der Stadt, in der das Studio liegt?
Reimers: Die Parks in Peking - im Sommer grüne Oasen. In vielen gibt es Tempelanlagen, die man gleich mit besichtigen kann. Die Pekinger treffen sich zum Tai-Chi, zum Singen, zum Tanzen, es gibt immer etwas zu gucken.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Reimers: An die chinesische Mauer fahren: Es gibt viele tolle Wanderungen in, um und auf der Mauer und so viele verschiedene Mauerabschnitte, dass es nie langweilig wird.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Reimers: Die gute Luft, dass man immer und jederzeit draußen Sport machen kann und nicht erst die Luftwerte überprüfen muss, bevor man in den Park zum Joggen geht.