"Kairo ist Lärm aus allen Richtungen"
Eigentlich war Thomas Aders leidenschaftlicher Hörfunkreporter, doch dann driftet er beim SWR zum Fernsehen ab und hat in der Auslandsredaktion sein Hobby Reisen zum Beruf gemacht. Der Westfale machte Dokumentationen über Zarqawi, Arafat und Saudi-Arabien, kam daraufhin ins Studio Kairo und dann in die Kairoer Dependance Bagdad. Nach einem sechsjährigen Abstecher als ARD-Korrespondent in Südamerika, kehrte Aders 2012 in seine journalistische Heimat Kairo zurück. Hier schimpft er besonders über den Verkehr, ist ansonsten aber glücklich - auch wenn die Freunde aus der Heimat manchmal fehlen.
Auf Twitter können Sie Thomas Aders folgen unter: @Aders_weltweit.
Herr Aders, was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Thomas Aders: Dass eine Stadt wie Kairo so laut sein kann. Wenn ich morgens von der Insel Zamalek über die 6th-of-October-Brücke und die "Strandpromenade" am Nil entlang zum Büro gelaufen bin - bin ich taub. Gefühlte 10.000 Autos hupen ohne Unterbrechung, das Horn scheint wichtiger zu sein als die Bremse. Dazwischen Krankenwagen, die sich heulend einen Weg durch das Karosserie-Dickicht bahnen, ohne freilich jemals schneller zu sein als der Rest. Ein ohrenbetäubender Lärm aus allen Richtungen - garniert von Presslufthammern, dudelnden Ausflugsbooten auf dem Nil, die ihre Lautstärke weit über die Verzerr-Grenze aufgedreht haben und Menschen, deren normale Unterhaltung sich anhört, als ob sie sich anbrüllen würden. Neben der Luft- ist die Soundverschmutzung im wahrsten Sinne des Wortes himmelschreiend. Manchmal sehne ich mich nach der ersten Tonmischung für eine Tagesschau, denn da ist der Lärm von draußen für einige Minuten durch dicke Wände wie abgeschnitten. Liegt meine Sehnsucht nach Stille an meinem fortschreitenden Alter? Möglicherweise …
Was hat Sie am meisten schockiert?
Aders: Mein Besuch bei jesidischen Frauen und Mädchen, die in der Hand der Terrormiliz Islamischer Staat waren und zum Teil monatelang vergewaltigt wurden. Der Blick dieser jungen Frauen im Nordirak war grausam traurig, grausam unbeteiligt, obwohl die meisten von ihnen weinten. "Ich wünschte, ich wäre tot" haben zwei von ihnen gesagt. Diese Begegnungen gehören zu den furchtbarsten meines Lebens.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondent erzählen?
Aders: Die Geschichte der "Heirat" von alten Männern mit Kindern. 60- und 70-jährige Männer heiraten zehn- oder erst achtjährige Kinder, von denen nicht wenige durch die Übergriffe sterben. Eine der pervertiertesten Formen sexueller Gewalt, denen ich seit langer Zeit auf der Spur bin. Vielleicht kann ich sie in diesem Jahr im Jemen drehen, wenn dort nicht mehr bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, wie es gerade der Fall ist.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Aders: In normalen Zeiten habe ich keinerlei Probleme, denn die ARD besteht zum allergrößten Teil aus wirklich kompetenten Redakteuren und Planern. Schwierig wird es nur, wenn die Ereignisse sich überstürzen. Dann denken die Reaktionen ausschließlich an ihre Sendung, und der Rest ist ihnen manchmal egal. Wenn das Hamburger Nachtmagazin beispielsweise am Montag einen Beitrag möchte und das Kölner Morgenmagazin schon für die erste Stunde am Dienstag eine Live-Schalte will, dann bleiben einem - wenn es gut geht - drei Stunden Schlaf. Das kann man schon mal machen, auch ein 20-Stunden-Tag ist machbar. Körperlich unzumutbar wird es aber dann, wenn eine Krise sich über mehrere Tage oder Wochen hinzieht. Dann ebben Kondition und Konzentration irgendwann ab, und dann bräuchte man zwischendurch einfach eine Mütze Schlaf.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Aders: Magier des Lichts, Meister der freien Rede, Götter der Komposition, Bilderzauberer, Fesselungskünstler der Botschaften, herkulesgleiche Beförderer, Wanderer zwischen den sprachlichen Welten. Kurz: mein Team!
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Aders: Es war eine ganze Pannenserie, die sich zugetragen hat in Damaskus anno 2014. Der versprochene Satellitenwagen stand nicht vor dem Hotel, sondern bestand aus einem Studio mit mittelalterlicher Technologie in einem anderen Stadtteil, sodass wir stets hin- und herflitzen mussten. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nach dem ersten, erfolgreichen Schaltgespräch nicht ein "Techniker" etwas umgestellt hätte, das die Kollegen jedoch nicht verstanden, und die 12-Uhr-Tagesschau aus Ermangelung einer Leitung schlicht ausfiel. Auch bis zum anschließenden Mittagsmagazin war der/waren die Fehler nicht zu beseitigen, sodass wir beschlossen, es in letzter Sekunde mit dem althergebrachten Syrischen Staatsfernsehen zu versuchen. 12.45 Uhr: Wir spurten aus dem Haus und rennen auf die Straße, doch unser Fahrer steht auf unserer, der falschen Seite. Wir rennen auf die Gegenfahrbahn, halten wie eine humane Wand einen vollbremsenden Geländewagen an und nötigen den perplexen Fahrer, zum Fernsehgebäude zu rasen. 12:53 Uhr: Spurt über den Vorplatz, Hürdenlauf durch die vielzähligen Kontrollen, überall piepsen die Metalldetektoren. 12:58 Uhr: Spurt ins Studio, ich werde verkabelt, Tonprobe. Das Bild ist aber noch nicht da, und zwar bis 12:59:30. Ich höre den Mittagsmagazintrailer, plötzlich scheint man mich auch zu sehen, es geht los. Gut geklappt, keiner hat was gemerkt, aber das Nervenkostüm wird dünner.
Und schließlich der Höhepunkt: Als Kameramann Martin Krüger und Cutter Frank Sauer zurückkommen aus dem Syrischen Staatsfernsehen ins Hotel, wo ich unterdessen an einem Stück für die Tagesthemen arbeite, sind ihre Gesichter länger als Spinnweben an der Wand. 'Und?', frage ich. Das Band, auf dem die unendlich wichtige Acht-Uhr-Tagesschau digital gespeichert war, ist beim Einschieben in den Spieler zerrissen. Bandsalat!
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Aders: In den drei Jahren Nahost bisher nicht, Baghdader Hühnchen sind auf die Dauer zwar einseitig, aber im Prinzip okay. Aber in Brasilien gab es gerade erlegte, salzlose Tapir-Koteletts, in Peru achselwarme Maniokbrühe, die angetrunkene Indiofrauen zur Fermentierung ein ums andere Mal kauten und in den Kübel zurückspuckten - und im Amazonasgebiet weiße, nussartig schmeckende Maden. Der Höhepunkt aber die äußere Mongolei. Wir befanden uns an diesem denkwürdigen Abend an der außermongolischen Grenze zu China bei minus 50 Grad in der Jurte unseres Gastgebers, als er mir stolz einen Teller mit einem gelblichen, transzendenten, quabbelnden, schlingernden Fettkloß reichte, eine echte Delikatesse! Ich konnte den kulinarischen Übergriff nur dadurch abwehren, dass ich dem Tonmann die appetitliche Mahlzeit mit der Begründung weiterreichen ließ, dass er in der Jurte der Älteste sei, und ihm die Ehre gebühre …
Welcher ist Ihr Lieblingsplatz in Kairo?
Aders: Ein Restaurant auf der Insel Zamalek, exakt an ihrem Ende. Anständiges Essen, traumhafter Blick auf den Nil, der sich vor deinen Augen wieder zusammenfügt zu seiner ganzen, ungeheuerlichen Breite.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Aders: Ich habe am Samstag meinen journalistischen Dienst im Studio bereits erledigt und ein spannendes Stück für die Tagesthemen gemacht; es ist ein Kollege da, sodass wir uns abwechseln können. Mit anderen Worten, ich habe tatsächlich frei. Ich habe ausgeschlafen. Der Kaffee hat die Lebensgeister zurückgeholt. Ich lege eine CD ein, vielleicht aus Brasilien, vielleicht Jazz. Ich lese Zeitung, dann setze ich mich in aller Ruhe an meinen Laptop und schreibe ein ganzes Kapitel für mein aktuelles Buch und den ganzen Nachmittag ruft niemand an, nicht ein einziges Telefonat! Und als ich den Laptop zufrieden zuklappe, höre ich, wie meine Frau den Schlüssel in der Türe umdreht. Wir wollen kochen …
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Aders: Unsere Freunde.