"In China ist alles eine Dimension größer"
Mario Schmidt ist seit 1. Juli 2015 Leiter des ARD-Studios in Peking. Er verfügt über reichlich Auslandserfahrung: 2000 wurde Mario Schmidt Redakteur in der Auslandsredaktion und übernahm in dieser Zeit Vertretungen in den ARD-Studios Stockholm, London, Tokio und Singapur, für die der NDR die Federführung hat. Von 2004 bis 2010 war Mario Schmidt ARD-Fernsehkorrespondent und Studioleiter in Tokio. In China warten viele spannende Themen auf Schmidt.
Auf Twitter können Sie Mario Schmidt folgen unter: @marioschmidt69
Was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Die Freundlichkeit der Menschen. Chinesen sind meist busy und sehr direkt, wenn man sie anlächelt, kommt in der Regel ein Lächeln zurück. Entgegen vieler Vorurteile erfahren wir auch jede Menge Hilfsbereitschaft. Und in China ist alles eine Dimension größer. Beispiel Fußballschule: Natürlich hat China die größte der Welt mit 50 Plätzen.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Mario Schmidt: Der Umgang des Staates mit Menschen, die das System infrage stellen. Da ist der Staat gnadenlos. Der aggressive Verkehr: Der Stärke hat Vorfahrt, als Radfahrer und Fußgänger muss man höllisch aufpassen. Manchmal gucke ich aber auch amüsiert zu, wie Autofahrer noch in die kleinste Lücke drängen, mit dem Erfolg, dass dann die ganze Straße blockiert ist. Aber Nachgeben gilt nicht, und die oben beschriebene Freundlichkeit gibt es im Verkehr leider nicht. Auf einer deutschen Autobahn wären die Chinesen überwiegend in der Gruppe Autofahrer, die dauerhaft mit Blinker und Lichthupe auf der linken Spur fahren. Schließlich: Die Lebensmittelskandale. Chinesisches Essen ist lecker, aber es ist schon soviel betrogen worden, auf übelste Art wurden aus Profitgier Dinge ins Essen gemischt, dass einem schon beim Lesen nur schlecht werden kann. Zwar gibt es Gesetze, aber offensichtlich zu wenig Kontrollen. Und natürlich die Luft, an schlechten Tagen ist sie schwer zu ertragen. In den letzten Monaten hatten wir zum Glück auch viele sehr gute Tage mit Hamburger Luft und blauem Himmel. Dann ist Peking wunderschön.
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondent erzählen?
Schmidt: Da gibt es so viele. Bei 1,4 Milliarden Menschen und mehr als 100 Städten mit über einer Million Einwohner dürften die Geschichten nie ausgehen. Ich möchte gerne über die gesellschaftlichen Folgen der Ein-Kind-Politik berichten, was macht es mit einer Gesellschaft, die überwiegend aus Einzelkindern besteht. Was macht es mit den Eltern, die gerne mehr Kinder gehabt hätten, aber abtreiben mussten. China steht vor sehr vielen Herausforderungen, die Verstädterung, die Umwelt. Die Regierung muss darauf Antworten finden, welche, das möchte ich herausfinden. Auch die Zukunft der Jugend, die Schwierigkeiten hat, mit der Kostenexplosion Schritt zu halten, dann die Vergreisung der Gesellschaft, die vielen Infrastrukturprojekte, die China in atemberaubender Zeit baut, in Peking etwa entstehen rasend schnell neue U-Bahn-Stationen, der nächste Flughafen ist in Planung. Natürlich möchte ich gerne nach Tibet, was wir als Journalisten nicht dürfen. Und ich hoffe, in meiner Zeit hier, möglichst nah an die wichtigsten Entscheidungsträger zu kommen, der ganze Politikbetrieb ist größtenteils eine black box, da mehr Einblick zu bekommen, wäre besonders spannend.
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Schmidt: Jeder Korrespondent hält sein Berichtsgebiet für den Nabel der Welt, insofern wird es nicht überraschen, dass ich China für das wichtigste Land halte. Vieles, was hier passiert, hat Folgen für den Rest der Welt. Wenn China die eigene Energieversorgung nicht langfristig sauberer macht, werden wir alle leiden. Wenn China den wirtschaftlichen Transformationsprozeß hin zu einer modernen Industrienation schaffen wird, kann uns das Land mit neuen technischen Entwicklungen überraschen, es bleibt ein riesiger Markt und wird vielleicht ein immer größerer Konkurrent auf dem Weltmarkt. Wenn China scheitert, werden wir Deutschen das als Exportnation auch merken. Dennoch: Die Redaktionen haben einen eigenen Blick auf die gesamte Welt und setzen eigene Schwerpunkte. Wir versuchen, den richtigen Zeitpunkt für unsere Themen zu finden und natürlich auch mit Qualität zu überzeugen. Und wir wollen alle Aspekte des Landes zeigen, die ARD und der NDR bieten mit ihren vielen Sendungen dafür jede Menge Möglichkeiten.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Schmidt: Joggingschuhe, Chinesischbuch, eBook und Snickers.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Schmidt: Die war privat: Ich habe meinen Fotoapparat im Taxi vergessen. Der Fahrer wollte seinen Taxameter nicht anstellen, deshalb bin ich wieder ausgestiegen, dabei blieb der Apparat wohl liegen. Er war neu, leider hat irgendein Fremder nun auch unsere letzten Urlaubsfotos. Und im chinesischen Restaurant wollten wir Ente bestellen. Ich habe nur auf das Foto in der Menükarte geachtet, das Gericht war dunkel, deshalb habe ich keinen Verdacht geschöpft. Als das Essen kam, sah ich zuerst den gespaltenen Kopf. Da dachte ich noch, wow, die haben ja alles in den Pott getan. Auf der Suche nach dem Fleisch für meine Kinder sah ich dann, dass das Gericht nur aus Entenköpfen bestand. Ich konnte es nicht essen und habe gesagt, wir seien nun doch schon satt.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Schmidt: Ja, gerade erst: Kaninchenkopf in der Metrople Chengdu, das Schweinehirn ist mir erspart geblieben. Probiert habe ich noch Kaninchenleber, Gänsekehle war okay. Ich kann vieles probieren, Probleme habe ich eher manchmal mit der Schärfe, gerade in der Provinz Sichuan.
Was ist Ihr Lieblingsplatz in Peking?
Schmidt: Der Chaoyang-Park, wenn die Luft gut ist, jogge ich dort. Er ist riesig und sehr lebendig. Die Sehenswürdigkeiten Pekings sind natürlich beeindruckend, aber mir sind sie meist zu überlaufen. Ich mag die Seen und ihre Restaurants, der Behai-See zum Beispiel. Ansonsten: Ich bin gerne in unserem Studio, die ARD hat es seit Mitte der 1980er-Jahre. Der erste Korrespondent, Jürgen Bertram, wohnte noch mit im Studio. Der ganze Komplex atmet Geschichte. Und ich habe ein tolles Team, es macht viel Spaß, mit Ihnen Ideen zu entwickeln.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Schmidt: Ich stehe früh auf und lade die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf mein iPad runter. Dann lese ich mindestens eine Stunde ungestört, gerne auch zwei. Danach fahre ich mit meinem Kollegen Thomas Reichart vom ZDF und unseren Söhnen zum Fußball, sie spielen in derselben Mannschaft bei den Beijing Kickers. Am Nachmittag bummele ich mit meiner Familie durch Sanlitun oder entdecke eine der vielen spannenden Seiten von Peking. Richtung Sonnenuntergang jogge ich dann eine Runde durch den Chaoyang-Park.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Schmidt: Ich bin ja noch nicht solange da, deshalb wäre "vermissen" zu viel. An jedem Tag entdecke ich Neues, ich komme gar nicht dazu, wirklich etwas zu vermissen. Aber, sagen wir so: Ich weiß die dauerhaft gute Luft und die Lebensmittelsicherheit in Deutschland nun deutlich mehr zu schätzen. Auch wenn China sich bemüht, beides in den Griff zu kriegen, ist das Land sehr, sehr weit von deutschen Standards entfernt. Ansonsten: An Waren gibt es hier alles. Während meiner Korrespondentenzeit in Japan war es schwierig, Kinderschokolade aufzutreiben. Aber sogar die gibt es hier - nur wie leider fast alle Importwaren in China: deutlich teurer als in Deutschland. Ich habe kein Auto und noch keinen chinesischen Führerschein. Das Fahren fehlt mir nicht. Das U-Bahn-System ist super, ansonsten fahre ich Rad oder Taxi, das wiederum ist sehr günstig, wenn man denn eins bekommt, vor allem bei Regen.