Die Akte Tengelmann
Es war einmal ein Unternehmen, das die Deutschen geliebt haben. Tengelmann hat uns über Jahrzehnte mit Lebensmitteln versorgt und die Supermärkte in Deutschland populär gemacht. Ein Konzern mit freundlichen Kassiererinnen, gut bezahlten Mitarbeitern und ehrbaren Kaufmännern - eines der letzten großen Familienunternehmen. Doch im Hintergrund scheint längst ein Strategiewechsel stattzufinden: Statt traditioneller Supermärkte spülen inzwischen Partner wie der Textildiscounter KiK, die Schnäppchenbude Tedi oder das Billigkaufhaus Woolworth das große Geld in die Kassen.
Finanzkapitalismus statt sozialem Gewissen?
Für die Angestellten und Aushilfen hat die Preisdrückerei oft spürbare Folgen. Unbezahlte Überstunden, Angst am Arbeitsplatz, aggressive Sparpolitik. Die beteiligten Unternehmen ficht das auch auf Nachfrage offenbar nicht an. Friedhelm Hengsbach, emeritierter Professor für christliche Gesellschaftsethik, spricht dagegen von "brutalem Finanzkapitalismus".
Dabei bedient man sich auch scheinbar cleverer PR-Tricks: Nachdem der Textildiscounter KiK nach einer Online-Befragung zum "Händler des Jahres" in den Kategorien Damen - und Herrenmode ausgezeichnet worden war, operierte der Mutterkonzern Tengelmann in der Öffentlichkeit mit weit überhöhten Teilnehmerzahlen. So verkündete Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub auf einer Pressekonferenz im Juli des Jahres: "Man höre und staune: Dieser doch manchmal gescholtene Textildiscounter KiK wurde von 48.000 Verbrauchern - da kann man kaum mehr was beeinflussen, selbst wenn man das wollte - ... ausgezeichnet zum Händler des Jahres."
Tatsächlich wurden für KiK im Bereich Damenmode für die Auszeichnung nur 1416 Stimmen abgegeben, im Bereich Herrenmode sogar lediglich 416 Stimmen. Der Marketing-Experte Prof. Michael Zerr erklärt: "Tatsächlich haben nicht 48.000 Leute sich für KiK entschieden und noch krasser: Nicht mal 48.000 Leute wurden zu KiK befragt." Der Wissenschaftler bezeichnete die Haub-Aussage als eine "bewusste Täuschung der Verbraucher". Laut Tengelmann und KiK habe sich der Konzernchef dagegen lediglich "missverständlich" ausgedrückt.
Verschwiegene NS-Vergangenheit
Christoph Lütgert und sein Team haben wochenlang recherchiert und auch in der Vergangenheit von Tengelmann dunkle Kapitel entdeckt. Was der Konzern bis heute verschweigt, ist seine Rolle in den Jahren des Nationalsozialismus. Bislang war unbekannt, welche Rolle das Handelsunternehmen im "Dritten Reich" gespielt hatte. Auch Tengelmann selbst schwieg in eigenen Chroniken und Publikationen zu diesem Thema.
Der damalige Firmenpatriarch, Karl Schmitz-Scholl bereits, hatte bereits 1931 Heinrich Himmler zu einem ausführlichen Gespräch getroffen und war wenig später in die SS eingetreten. Er stieg bei der Allgemeinen SS zum Hauptsturmführer auf, verrichtete als Wirtschaftsführer aber keinen Dienst bei der Schutzstaffel. Er war außerdem seit 1933 NSDAP- Mitglied und zeitweise Kriegsverwaltungsrat bei der Wehrmacht, sowie Sachverständiger für Ernährungsfragen beim Heeresverwaltungsamt.
Aufgrund der Panorama-Recherchen arbeitet die Unternehmensgruppe Tengelmann ihre Rolle während des Nationalsozialismus nach 66 Jahren beharrlichen Schweigens nun erstmals auf. Wie der Konzern auf Anfrage mitteilte, soll der Historiker Prof. Lutz Niethammer diese Aufgabe übernehmen und dabei "völlige wissenschaftliche Freiheit genießen". Der jetzige allein geschäftsführende Gesellschafter Karl-Erivan Haub teilte mit, er bedauere das Versäumnis, erst jetzt einen unabhängigen Historiker mit der Aufarbeitung beauftragt zu haben.