Tod im Tiefschnee
Es war ein strahlender Tag im vergangenen Februar am Ortler in Südtirol. Ein halber Meter Neuschnee, Sonnenschein, Stille. Volker K. aus Bargteheide wollte gemeinsam mit drei Begleitern in der unberührten Natur Ski fahren - abseits der Pisten. Sie kennen die Gefahren, wissen wo man fahren kann, ohne eine Lawine auszulösen. Sie meiden sogar die ganz steilen Hänge, wo der Schnee abrutschen könnte. Doch eine andere Gruppe löst weiter oben eine Lawine aus, die sich ins Tal wälzt. Im Tiefschnee ist das Risiko unkalkulierbar. Volker K. hatte keine Chance und kann nur tot geborgen werden.
Volkssport Risiko
Es ist ein besonders bitterer Fall. Doch es ist keine isolierte Tragödie. Jedes Jahr gibt es Hunderte Opfer im Tiefschnee und an den Steilhängen, Verletzte, Todesfälle. Weg von den Pisten und quer ins Gelände zu fahren, ist ein regelrechter Volkssport geworden. Immer mehr Menschen wollen einsame Linien in den unberührten Schnee ziehen. Doch es kann für Ski-Fahrer schnell lebensgefährlich werden, sobald sie die Piste auch nur ein paar Meter verlassen. So wie der ehemalige Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher, der seit drei Monaten nach seinem Ski-Unfall im Koma liegt.
Todesfalle Lawine
Die noch größere Gefahr aber sind Lawinen, die im Tiefschnee ausgelöst werden. Manuela Mandl trat das gewaltige Schneebrett, in dem sie fast starb, selber los. Dabei kennt sie sich eigentlich gut aus mit Lawinenkunde, kennt die Feinheiten des Schnees und Auswirkungen des Wetters. Und trotzdem verschätzt sie sich bei einer Abfahrt im Februar 2012 und wird plötzlich in den Salzburger Bergen von einer riesigen Lawine weggespült.
Als die Lawine endlich stoppt, steckt sie bis zum Hals im Schnee. Zum Glück nicht noch tiefer. Freunde buddeln sie aus. "Wer sich über mehrere Jahre im Tiefschnee tummelt, wird irgendwann eine Lawinen-Erfahrung haben", sagt Manuela Mandl. Nicht viele, die es erlebt haben, wollen darüber reden. Weil es immer ein Eingeständnis einer Fehleinschätzung ist. "Aber es wichtig, darüber zu sprechen, damit die Leute sehen, wie schnell es passieren kann." 140 Menschen sterben durchschnittlich pro Jahr in den Alpen durch Lawinen. Und noch viel mehr kommen in die Nähe des Lawinentodes.
Verschüttet im Schnee
Frauke Brunner erlebte vor 15 Jahren für anderthalb bittere Stunden die Dunkelheit im Schnee. Sie war komplett verschüttet im österreichischen Galtür, zusammen mit zwölf anderen Tourengehern. Zehn von ihnen sterben. Brunners Glück war, dass sie eine Luftblase um sich herum hatte. "Ich schäme mich für das, was damals passiert ist", sagt die 75-Jährige. Weil sie wusste, dass es zu gefährlich ist, an diesem Tag eine Skitour zu machen. Das Wetter war schlecht, die Lawinengefahr offensichtlich. Aber der Gruppendruck war zu stark. "Ich dachte, über solchen Dinge stehe ich drüber", sagt die Psychologin, "aber da steht man nicht drüber." Überschätzung ist der gefährlichste Ratgeber am Berg.
Die Industrie heizt ein
Und viele Menschen glauben offenbar, dass sie das Risiko kalkulieren könnten. Es wird ja auch immer einfacher, im Tiefschnee Ski zu fahren. Und die Industrie heizt den Trend an. Die extrem breiten, aufgebogenen Freeride-Ski erlauben es auch durchschnittlich talentierten Fahrern, sich im Gelände abseits der Pisten zu bewegen. Die Ski-Firmen kämpfen aggressiv um die Marktanteile in diesem neuen Boom-Sport. Dabei geht es um Image und Bilder, fast alle Firmen werben mit Videos, in denen Profi-Sportler von Bergen fahren und springen, die für Durchschnittsfahrer lebensgefährlich sind. "Es herrscht ein Wettkampf um die spektakulärsten Bilder" räumt ein Ski-Manager ein. Und sein Kollege von der Konkurrenz erklärt, in diesem Geschäft drehe sich alles um Image und Lifestyle. "Hauptsache, nicht mit den anderen auf der Piste. Hauptsache anderes sein".
Das Risiko fährt mit
Ein lohnenswertes Geschäft, ein gigantischer Markt. Rund ein Drittel ihres Umsatzes machen die großen Ski-Firmen inzwischen mit Ski, die für das freie Gelände abseits der Piste bestimmt sind. Dazu kommt eine Reihe von technischen Hilfsmitteln, die suggerieren, die hochalpinen Risiken beherrschbar zu machen: Lawinensuchgeräte, Lawinen-Airbag-Rucksäcke, Lawinen-Sonden. Damit fühlen sich viele Ski-Fahrer sicher und wagen womöglich mehr, als gesund ist. Alleine der Markt für Lawinen-Airbags hat sich in wenigen Jahren radikal verändert. Früher haben ein paar Freaks diese Geräte benutzt, heute ist es ein Massengeschäft mit schätzungsweise 30.000 Verkäufen pro Jahr. "Wir haben im Moment das Problem, dass die technische Ausrüstung immer besser wird, aber die Zahl der Fahrer ohne Sachkenntnisse zunimmt. Viele kennen sich gut aus, aber viele sind auch völlig ahnungslos", sagt der Lawinen-Experte Patrick Nairz aus Innsbruck. Die Technik kann eben doch nicht immer über die Natur triumphieren. Das Risiko fährt mit, auch wenn manche Firmen offenbar das Gegenteil suggerieren.
Tod am Ortler
Mitten in den Dreharbeiten in Sulden am Ortler, wo im letzten Winter der Mann aus Bargteheide starb, steigt der Hubschrauber der örtlichen Bergrettung auf. Nach einer Viertelstunde kommt er zurück vom Berg, mit einem Leichensack an der Kufe. Ein 34-Jähriger Mann aus Stuttgart hatte versucht, an der Nordseite des Ortlers auf Skiern eine Rinne abzufahren. In 3.800 Metern Höhe hat er wohl die Kontrolle verloren und stürzt 1.000 Meter in die Tiefe. Das nächst Opfer des Tiefschnee-Wahnsinns.