"Wir können uns hier recht frei bewegen"
Die deutsche Bundeswehr, die NATO und die ISAF-Truppen hinterlassen in Afghanistan Blindgänger im Boden, die eine tödliche Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Die deutsche Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel und ihr Kollege und Partner Niklas Schenck leben in Kabul und berichten über die Hinterlassenschaften der ausländischen Streitkräfte. Im Interview sprechen sie über ihren Alltag in Afghanistan.
Es gibt viele Orte, an die man als Journalist gehen kann - wie seid Ihr nach Kabul gekommen?
Ronja von Wurmb-Seibel: Ich war vor dem Umzug ein Mal mit der Bundeswehr hier und habe unter anderem über den Abbau des Feldlagers Faisabad geschrieben. Später bin ich für eine Reportage nach Kabul geflogen und war fasziniert, wie lebendig die Stadt ist. Dann bin ich hergezogen, und Anfang dieses Jahr kam Nik.
Wenn man von Kabul hört oder liest, dann geht es meist um traurige Nachrichten - zuletzt zum Beispiel um einen Anschlag nahe der US-Botschaft. Wie ist Leben und Arbeiten dort für Euch?
von Wurmb-Seibel: Wir wohnen in einem wunderschönen alten Haus mit großem Garten, Hängematte und Hund.
Niklas Schenk: Und wir können uns hier recht frei bewegen. Die Anschläge galten bisher, mit wenigen Ausnahmen, militärischen Zielen. Wir haben keinen festen Zeitplan, so dass man uns kaum ausrechnen kann, tragen afghanische Kleidung und sind viel mit afghanischen Freunden unterwegs - in unauffälligen, ungepanzerten Toyota Corollas.
Wie unterscheidet sich die journalistische Arbeit in Afghanistan von der in Deutschland?
Schenk: Für uns kaum - ab und an gibt es Ärger, wenn wir an der falschen Stelle filmen, und wir informieren uns über die Sicherheitslage, bevor wir aus Kabul rausfahren. Ansonsten haben wir unsere Ruhe - auch weil wir langfristig recherchieren und nicht tagesaktuell. Für Nachrichtenjournalisten ist es etwas schwieriger - zuletzt wurde der Büroleiter der New York Times ausgewiesen, weil dem Präsidentenpalast seine Berichterstattung über eine politische Intrige nicht passte.
von Wurmb-Seibel: Für afghanische Journalisten ist die Arbeit hier wesentlich gefährlicher - in diesem Jahr wurden fünf von ihnen ermordet. Zuletzt wurde vergangene Woche in Masar-i Sharif eine Journalistin erstochen, die bis 2012 auch für die Bundeswehr gearbeitet hat. Man hatte sie wohl schon länger bedroht, wegen ihrer Arbeit für die Deutschen.
Wie ist es, als weibliche Journalistin dort zu arbeiten?
von Wurmb-Seibel: Dass ich eine Frau bin, macht es mir hier nicht schwieriger. In manchen Fällen hilft es sogar - viele Frauen dürfte Nik gar nicht erst treffen. Und natürlich halte ich mich an den Dresscode hier: Keine kurzen Hosen, keine T-Shirts, Kopftuch. Sonst würde ich einfach auffallen.
Wie und wo verbringt man die Zeit in Kabul, wenn man nicht arbeitet?
Schenk: Wir sind oft zu Freunden zum Essen eingeladen, wir gehen bowlen oder machen Sport. Freitags fahren wir oft raus aus der Stadt. Zum Picknicken oder Drachensteigen. In der Nähe von Kabul gibt es ein paar schöne Stauseen, an einem davon kann man sogar Riesenrad fahren oder Schwanentretboote mieten.
Wie bewerten die Afghanen, mit denen Ihr sprecht, heute den Einsatz von ISAF?
Schenk: Manche hoffen auf einen Neuanfang, wenn die Ausländer erst einmal weg sind. Andere sorgen sich, dass mit dem Abzug der Truppen auch Entwicklungsarbeit und Investition nachlassen könnten, dass der Westen Afghanistan sich selbst überlässt - ein bisschen so wie 1989, als die Sowjets abzogen.
Was bedeutet das jetzt ausgezählte Wahlergebnis für die Zukunft Afghanistans?
Schenk: Das wird sich in den nächsten Monaten herausstellen - die beiden Kandidaten haben sich gegenseitig massive Wahlfälschung vorgeworfen und trotzdem monatelang verhandelt, ob und wie sie die Macht teilen können. Darüber einigten sie sich am vergangenen Sonntag - Ashraf Ghani wurde als Gewinner verkündet, aber die genauen Stimmzahlen der Stichwahl wurden gar nicht mehr bekannt gegeben.
Das ärgert viele Afghanen, die für ihre Stimmabgabe viel riskiert haben. Und die Leute sind unsicher, ob die Einigung hält. Trotzdem: Erst einmal war es ermutigend, dass sieben bis acht Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben haben - trotz Anschlagswarnungen der Taliban.
Das Gespräch führte Lutz Ackermann.