"Ein Selbstmord ist unwahrscheinlich"
Ein Vermisstenfall aus dem Harz. Die 52-Jährige Jutta Schulz verschwindet spurlos. Die Polizei tappt im Dunkeln. Ihre Freunde und Bekannten sind sich offenbar einig: Der Lebensgefährte ist der Mörder. Die Reporter Philipp Mangold und Lukas Augustin waren ein halbes Jahr lang unterwegs. Wir haben mit ihnen über den Fall gesprochen.
Warum habt ihr gerade Jutta Schulz gesucht?
Weil ein erwachsener Mensch wie Jutta Schulz eigentlich nicht spurlos verschwinden kann – sie war psychisch stabil, zuhause in einer deutschen Kleinstadt, in der viele Menschen sie kannten. Irgendjemand dort muss doch etwas wissen, dachten wir. Außerdem hat uns Jutta Schulz als Mensch fasziniert: ein ehemaliges Fotomodell, das zuletzt im zerfallenden Hof eines Kutschers gehaust hat, regelmäßig zur Wahrsagerin ging und in einem Kölner Bordell als Bardame arbeitete.
Recherchen im Rotlichtmilieu und bei Wahrsagerinnen klingen kompliziert – wie kam es, dass die Leute mit euch gesprochen haben?
Überraschenderweise waren gerade die Prostituierte, die Wahrsagerin und der Lebensgefährte – also der, den viele dort für den Mörder halten – erstaunlich offen. Besonders schwer war es bei den engsten Freunden von Jutta Schulz, also denen, von denen wir ursprünglich gedacht hatten, sie würden uns helfen, weil sie unbedingt die Wahrheit über Jutta Schulz erfahren wollen. Die haben uns erst hingehalten und dann versetzt.
Was denkt ihr, warum?
Für uns ist das bis heute schwer zu verstehen. Wenn man sich vorstellt, ein enger Freund verschwindet und zwei Journalisten suchen ihn, da würde man doch wenigstens anonym helfen. Es war wirklich so, dass fast jeder, mit dem wir gesprochen haben, uns zu diesen Freunden geschickt hat. "Geht mal zu dem, der weiß alles über die, der kennt sie seit vielen Jahren." Und dann gehen wir hin, immer wieder, oder rufen an, immer wieder, und werden vertröstet. Zuerst heißt es, keine Zeit, und am Ende, keine Lust mehr. Warum sie uns nicht geholfen haben, das ist uns schleierhaft.
Was hat euch in der Recherche am meisten überrascht?
Irrerweise glauben die meisten in Jutta Schulz’ Umfeld zu wissen, was passiert ist: Ihr Lebensgefährte Klaus Kroschwitz habe sie ermordet und zerhackt. Diese Gerüchte kursieren nicht nur im Harz, sondern fast wortgleich in Köln. Die einzigen Variationen sind die Tiere, denen er sie angeblich zum Fraß vorgeworfen hat: Viele sagen, er habe sie an seine Pferde verfüttert, manche sagen, an den Hund und einige, er habe sie seinen Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Dabei hat Kroschwitz keine Schweine.
Was ist die größte Herausforderung bei einem Vermisstenfall?
Bei einem Mordfall gibt es Fakten, die man untersuchen kann, wie eine Leiche oder einen Tatort. Dazu ermittelt sofort die Staatsanwaltschaft, und die Mordkommission dreht jeden Stein um und sucht nach Hinweisen. Bei einem Vermisstenfall gibt es weniger polizeiliche Möglichkeiten, während es viel mehr Varianten gibt, was passiert sein könnte - bei Erwachsenen wie Jutta Schulz, die mehrere Leben führte, umso mehr. Wenn dazu, wie in unserem Fall, die Person erst nach vier Wochen vermisst gemeldet wird, gibt es kaum noch Spuren.
Könnte sie Selbstmord begangen haben?
Unwahrscheinlich. Sie hatte kein Auto, und ihr Fahrrad stand nach ihrem Verschwinden bei ihrem Lebensgefährten. Sie hätte also zu einem Ort laufen oder sich fahren lassen müssen, der so abgelegen sein müsste, dass sie bis heute niemand finden kann. Wo sollte das sein? Und warum hätte sie sich an so einem abgelegenen Ort umbringen sollen?
Und was ist mit einem Unfall?
Da stellt sich für uns eine ähnliche Frage: Warum wurde ihre Leiche bis heute nicht gefunden? Uns scheint es am wahrscheinlichsten, dass sie untergetaucht ist oder Opfer eines Verbrechens geworden ist.