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Undercover als Chatschreiberin: Abzocke Flirtportal

Dienstag, 01. Dezember 2020, 21:15 bis 21:45 Uhr

Flirtportale versprechen Abenteuer und Liebe. Dabei stecken hinter den Profilen, die dort schreiben, oft bezahlte Moderatoren mit Fake-Accounts. Autorin Nadia Kailouli hat sich im Rahmen einer Recherche für Panorama und STRG_F beworben und die Plattformen von innen kennengelernt.

Alles beginnt mit einer Stellenausschreibung im Netz: Gesucht werden "IKM-Schreiber", Schreiber für den "Internet-Kontaktmarkt" - für Flirt- und Dating-Portale. Die Schulungsunterlagen, die Kailouli bald darauf zugeschickt bekommt, geben einen Vorgeschmack auf das, was diesen Job ausmachen wird: "In unseren Chats geht es darum, die Kunden lange bei Laune zu halten. Möglichst lange." Wie das gehen soll, geben die Unterlagen fast drehbuchartig vor. Grundsätzlich sollen Chatschreiberinnen und -schreiber "gesellig" sein, "zielorientiert, begeistert, humorvoll." Sie sollen mit vielen offenen Fragen arbeiten und ihr argloses Gegenüber nicht merken lassen, "dass wir ihn nur animieren wollen." Auf kritische Fragen sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausweichend antworten, mit Witzen ablenken. Sie sollen echtes Interesse vorgaukeln und sich bloß nicht als Fake-Profile zu erkennen geben. Denn das Ziel jedes Chats sei es, "einen Kunden zum Stammkunden" zu machen, der "ein lang bleibender Investor wird."

Ein lukratives Geschäft

Sebastian Günnewig © NDR Foto: Screenshot
Rechtsanwalt Sebastian Günnewig kritisiert das Vorgehen der Flirt-Portale.

Jede Nachricht kostet die Nutzerinnen und Nutzer dieser Portale Geld. Das heißt, an jedem gut laufenden Flirt verdienen die Anbieter. "Das Geschäft mit den Flirt-Portalen hat sich zu einem riesigen Wirtschaftszweig entwickelt", sagt der Kölner Rechtsanwalt Sebastian Günnewig, der sich auf Abofallen im Netz spezialisiert hat und viele Mandantinnen und Mandanten betreut, die auf die falschen Flirts hereingefallen sind. Die Portale gäben zwar in ihren AGB häufig an, Chat-Schreiberinnen oder -schreiber einzusetzen. Diese Hinweise seien jedoch meist so gut versteckt und ein solcher Widerspruch zu den Versprechen der Startseiten, dass diese Klauseln als überraschend und damit unwirksam gelten könnten. "Das ist eine ganze Industrie, die sich da aufgebaut hat und mit mehr oder weniger dubiosen Methoden den Menschen das Geld aus der Tasche zieht", so Günnewig im Interview mit Panorama.   

Hinhalten, vertösten, Liebe vorgaukeln

Auch die Portale, zu denen Nadia Kailouli recherchiert, geben in ihren AGB an, "professionelle Chatpartner" einzusetzen oder "Controller/innen". Während ihres Einsatzes für "michverlieben.de" und "singlechat.net" bekommt Kailouli hingegen mit, wie Nutzerinnen und Nutzer vom Gegenteil überzeugt werden sollen. Wochenlang liest sie mit, wie ihre Chat-Kolleginnen und Kollegen die Nutzerinnen und Nutzer schreibend in fiktive Beziehungen verstricken. Sie gaukeln Interesse und Liebe vor, weichen Fragen nach Treffen aus, formulieren Ausreden nach Handbuch, vertrösten und malen stattdessen eine gemeinsame Zukunft rosig aus. Oft seien die unwissenden Nutzerinnen und Nutzer verzweifelt über das Hinhalten, das sie nicht verstehen.

Nicht alle Moderatorinnen und Moderatoren halten den Job des Tricksens aus. So erzählt eine Insiderin, die monatelang als Chatschreiberin arbeitete, dass die Gewissensbisse irgendwann zu groß wurden. 1.200 Euro netto im Monat habe sie damit verdient, die Menschen bei der Stange zu halten. Drohte mal ein Stammkunde oder eine Stammkundin damit abzuspringen, hätten die Portalbetreiber ihre Angestellten damit beauftragt, den Kunden oder die Kundin anzurufen, um sie zu beruhigen.

"Wie eine Gehirnwäsche"

Und manchmal spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu. In einem Fall vollzieht Nadia Kailouli nach, wie eine Frau über Wochen beschwichtigt wurde, die den Schwindel erkannt hatte. "Wie konntest du mir das antun? Alles Fake hier, alles Lüge, warum?" Die Frau droht in ihrer Verzweiflung damit, sich etwas anzutun. Später trifft Kailouli sie und lässt sich erzählen, wie es zu diesem Punkt kam. Es sei "wie eine Gehirnwäsche" gewesen, sagt die Frau, die unerkannt bleiben möchte, weil sie sich schämt, auf die Masche des Portals reingefallen zu sein. Über Monate habe sie mit dem Mann, einem Fake-Profil, geschrieben. Sie habe mehrere tausend Euro verloren. Und nicht nur das. Auch ihr Selbstwertgefühl sei dahin. 

Panorama hat die Portalbetreiber mehrfach kontaktiert und um Stellungnahme gebeten. Vergeblich. Alle Anfragen nach ihren Methoden und ihrer Verantwortung für die Nutzerinnen und Nutzer blieben unbeantwortet.

Autor/in
Nadia Kailouli
Redaktion
Anna Orth
Produktionsleiter/in
Sabine Grunitz