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Pflegenotstand: "Wir kündigen"

Dienstag, 05. Juli 2022, 21:15 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 07. Juli 2022, 01:50 bis 02:20 Uhr

Pflegekräfte verlassen gerade in großen Zahlen ihren Beruf, weil sie der Belastung nicht mehr standhalten können. Nach einem Aufruf meldeten sich Innerhalb kürzester Zeit mehr als 150 Pflegekräfte, die darüber sprechen wollten, was schief läuft in der Pflege.

Collage von Porträts von Pfleger:innen. © NDR Foto: NDR
Ständige Überarbeitung, Überstunden, keine Pause: Das wollten sie alle nicht mehr mitmachen.

Timm, Marlene, Friederike, Luis und Isabel sind fünf von über 150 Pflegekräften, die mit dem NDR darüber sprechen wollen, warum sie aus der Pflege ausgestiegen sind. Sie wollen nur mit dem Vornamen genannt werden. Luis ist 28 Jahre alt und hat mehr als fünf Jahre in der Pflege gearbeitet, zuletzt in einer Notaufnahme. Die chronische Unterbesetzung war schon vor Corona Dauerzustand: "Da hatten wir im Schnitt zwischen 50 und 60 Patienten dauerhaft, sprich zwischen 20 und 30 Patienten pro Pflegekraft. Und das sind einfach Zahlen, die nicht schaffbar sind."

Morgens war der Patient tot

Luis, Krankenpfleger (Porträt). © NDR Foto: NDR
Luis macht sich heute noch Vorwürfe wegen des Todes eines Patienten.

Nach einem seiner Nachtdienste finden Kollegen morgens einen Patienten tot auf der Toilette vor - Luis hat davon die ganze Nacht nichts mitbekommen, Kontrollgänge hatte er aus Zeitmangel einfach nicht mehr geschafft: "Ich habe in dem Moment nicht gewusst, ob es mein Fehler war, ob ich schuld bin. Ich weiß heute noch nicht. Mach mir heute noch Vorwürfe deswegen. Und ja, die Konsequenz war einfach nur dass man mir geasgt hat, wenn ich mich dem Job nicht gewachsen fühle, dann muss ich gehen."

Im März 2022 hat Luis dann seinen Job gekündigt. Wie schon so viele vor ihm:  Laut Bundesagentur für Arbeit kündigten allein zwischen April und Juli 2021 9.000 Pflegekräfte - mitten in der dritten Corona-Welle. Schon heute fehlen laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung allein auf Intensivstationen 50.000 Pflegekräfte. Mit Folgen: Mitten in der Pandemie mussten hier 4.000 Betten gesperrt werden.

Bessere Ausstattung - mehr Zeit

Was hätte die Pflegerinnen und Pfleger in ihrem Beruf gehalten? Isabel sagt dazu: "Mehr Personal, bessere Bezahlung, bessere Angebote im Klinikum, also mehr Weiterbildung, mehr Fortbildung." Auch Luis meint: "Wir brauchen mehr Investitionen in die Pflege, also es muss viel mehr Geld vom Staat in die Pflege gehen." 

Anne, Krankenpflegerin (Porträt). © NDR Foto: NDR
"Das Beste vom Schlechtesten": In die Politik hat Anne kein Vertrauen mehr.

Von der Politik, von Gesundheitsminister Lauterbach und seinen Vorgängerinnen und Vorgängern sind die Pflegekräfte enttäuscht. Anne erzählt: "Als Lauterbach ernannt wurde, war ich erst mal erleichtert, weil ich wusste, okay, das ist vielleicht unsere beste Lösung, also das Beste vom Schlechtesten, was wir kriegen können. Aber er hat ja ganz klar gezeigt, dass er nicht wirklich ein Interesse daran hat, die Pflege zu stärken."

Von Lauterbach enttäuscht

Weder Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch Pflegebeauftragte Claudia Moll wollten sich dem NDR gegenüber in einem Interview äußern. Stattdessen verweist man schriftlich auf die sogenannte "Pflegepersonal-Regelung 2.0" - ein Instrument zur Ermittlung des Pflegebedarfs, welches die Personalsituation in den Krankenhäusern "spürbar" verbessern soll. Wann sie kommt, ist aber noch unklar.

Die Pflegenden, die ausgestiegen sind wollten nicht mehr länger auf bessere Bedingungen warten. Was sie jetzt machen? Marlene will der Pflege nicht komplett den Rücken kehren: "Ich werde noch mal Pflegepädagogik oder Berufspädagogik studieren und dann Lehrerin werden. Quasi für Gesundheitsberufe." Sie gibt ihren Traumjob auf, wie so viele, die gerade gehen. Sie sagen, sie würden vielleicht sogar zurückkommen. Wenn sich wirklich etwas verändert.

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Sendungsbild zur Panorama 3 Sendung vom 09.11.2021 © NDR
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Produktionsleiter/in
Sabine Grunitz
Autor/in
Desireé Fehringer
Isabel Ströh
Redaktion
Lutz Ackermann
Schiffermueller, Dietmar