"Eine Ohrfeige für den Schiffs-TÜV"
Anna Orth und Pia Lenz haben den ganzen Sommer zu Lande und auf dem Wasser recherchiert und versucht herauszufinden, wie sicher Luxusjachten sind - und welche Rolle Sicherheit für Hersteller und Käufer überhaupt spielt. Hier schildern sie ihre Eindrücke und Erfahrungen.
Welches Gefühl hat man eigentlich bei 25 Knoten in einer Motorjacht? Kommt einem das wirklich so schnell vor?
Anna Orth: 25 Knoten sind etwa 46 Stundenkilometer, doch auf dem Wasser fühlt sich das sehr viel schneller an. Das Wasser wird steinhart. Man muss sich bei dieser Geschwindigkeit schon festhalten, wenn das Boot beschleunigt. Schon bei diesem Tempo hat man das Gefühl, dass man nicht mehr wirklich gut ausweichen könnte, wenn einem ein anderer Wassersportler in die Quere käme.
Wie schnell darf eine Motorjacht eigentlich sein?
Pia Lenz: Es gibt in Deutschland keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Wasser. Lediglich im Bereich der Badezone müssen Boote langsam fahren. Das ist anders, als auf der Straße. Deshalb fahren Motorjachten in der Lübecker Bucht bis zu 70 oder 80 Stundenkilometer. Wir haben beobachtet, dass einige Boote besonders gerne eng an der Badezone vorbeirasen, nur dort werden sie von der Strandpromenade aus gesehen und bestaunt.
Hätte der Unfall zwischen dem Surfer Reinhard Fahlbusch und einer Motorjacht mit einem Tempolimit wirklich verhindert werden können?
Orth: Die Kollision zwischen Surfer Fahlbusch und der Motorjacht Seewind war ein tragischer Unfall. Deshalb kann man nur mutmaßen, wie er hätte verhindert werden können. Doch mit einer geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung hätte der Unfallfahrer vielleicht nicht auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, als er durch ein typisches Surf- und Kite-Revier der Bucht fuhr.
Auch wenn der Unfall schrecklich war: Auf jeder Landstraßen werden mehr Menschen im Verkehr verletzt. Ein Tempolimit auf See ist außerdem schwer durchzusetzen. Ist der Aufwand gerechtfertigt?
Lenz: Sicher ist die Umsetzbarkeit eines Tempolimits noch ein Thema mit dem sich die Fachleute auseinandersetzen müssen, denn die Wasserschutzpolizei müsste gerade in den Sommermonaten mit entsprechenden Messgeräten, Booten und Personal ausgestattet werden. Interessant ist ja, dass es bereits ein Tempolimit von 15 Stundenkilometern in der Lübecker Bucht gab, das war im Jahr 2007. Erst ein Motorbootfahrer hat dies erfolgreich weggeklagt.
Die Notwendigkeit eines solchen Limits wurde somit von politischer Seite bereits vor Jahren festgestellt. So steht es in der entsprechenden Bekanntmachung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion. Dennoch wird es bis heute nicht in die Tat umgesetzt.
Das BSU hat nach dem Unfall festgestellt, dass bei einigen Modellen des Jachtherstellers Sunseeker möglicherweise die Sicht für den Steuermann eingeschränkt ist. Die Boote sind aber weiterhin auf dem Wasser unterwegs. Warum geschieht hier nichts?
Orth: Das fragen wir uns auch. Wir haben im Laufe unserer Recherche versucht herauszufinden, wer hier wirklich zuständig ist. Wenn Sunseeker selbst keinen Handlungsbedarf sieht, müssten dann nicht staatliche Instanzen aktiv werden? Wer kann die Boote aus dem Verkehr ziehen? Und warum passiert seit Veröffentlichung der Empfehlung offenbar überhaupt nichts? Die deutsche Marktaufsichtsbehörde - in diesem Fall die Hamburger Behörde für Verbraucherschutz - hat uns an die britischen Kollegen verwiesen. Zwar werden die Yachten von Sunseeker Germany, dem Vertriebspartner mit Sitz in Hamburg in Verkehr gebracht. Doch gebaut werden die Yachten in Großbritannien.
Die britische Behörde wird jedoch nicht tätig, sie wartet auf die Ergebnisse ihrer deutschen Kollegen. So warten alle aufeinander und jede Stelle schiebt die Verantwortung weiter zur nächsten. Darüber sind wir schon sehr erstaunt.
Wie werden Motorjachten eigentlich auf Sicherheit geprüft, ehe sie zugelassen werden?
Lenz: Bevor eine Werft die Zulassung für ein Boot bekommt, muss sie unter Beweis stellen, dass das Boot alle Sicherheitsstandards erfüllt. Sie geht auf eine der vielen privaten Schiffsklassifikationsgesellschaften zu, im Fall des Unfallbootes war es die italienische RINA. Das ist eine Art TÜV für Schiffe. Die Prüfer der Klassifikationsgesellschaft schauen sich zum Beispiel die technischen Zeichnungen an und wenn sie Zweifel haben nehmen sie die Boote in Augenschein. Dann stellen sie ein Zertifikat aus, die Bedingung für die Zulassung.
Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung hat in ihrem Unfallbericht nicht nur die Sunseekerjacht selbst bemängelt. Sie hat auch der RINA eine Ohrfeige verpasst. Die BSU empfiehlt RINA öffentlich, "im Rahmen ihres Qualitätsmanagements" zu prüfen, ob es "Defizite beim Besichtigungswesen" gibt.