"Auch 15 Knoten sind schon sehr schnell"
Der Rechtsanwalt Ole Hecht vertritt den Surfer Reinahrd Fahlbusch. Im Interview nimmt er ausführlich Stellung zu dem Verfahren und dem Verhalten des Unfallgegners und der Behörden.
Wie hat sich der Unfallfahrer nach dem Unglück gegenüber Herrn Fahlbusch verhalten?
Ole Hecht: Er hat im Wesentlichen seine Rechtsanwälte sprechen lassen. Wenn etwas kam, dann eben der Vorwurf: Sie sind ja selber schuld.
Was waren das für Schuldzuweisungen?
Hecht: Na, die konkrete Schuldzuweisung war, dass Herr Fahlbusch versucht habe, mit seinem Surfbrett zu überholen, und dabei der Motorjacht in die Seite gefahren sei. Der vom Unfallverursacher beauftragte Sachverständige hat sich zu dem Kommentar hinreißen lassen, Herr Fahlbusch könnte versucht haben, über die Heckwelle der "My Seewind" zu springen, da dies einen besonderen Kick auslöse.
Wie bewerten Sie das?
Hecht: Zum Unfallzeitpunkt war die Motorjacht 38 Knoten schnell, das sind ungefähr 70 hm/h. Angesichts der Windverhältnisse, die am Unfalltag bei 3 Beaufort lagen, kann so ein Surfbrett je nach Größe des Segels und der Art des Surfbretts, auf eine Geschwindigkeit von zehn Knoten kommen. Der Motorbootfahrer war also mindestens drei Mal so schnell! Und er kommt zu dem Ergebnis, dass Herr Fahlbusch versucht habe zu überholen!
Die Geschwindigkeitsverhältnisse sind einfach umgedreht worden.
Hecht: Zum Glück gab es eine amtliche Feststellung durch die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU), die auf so genannten AIS Daten basierte. Die sind eigentlich für die Berufsschifffahrt vorgesehene Sender, die regelmäßig im Daten, d.h. Position, Geschwindigkeit und Kurs an eine Zentrale senden.
Und diese Daten waren am Ende Herrn Fahlbuschs Glück?
Hecht: Die waren Herrn Fahlbuschs Glück, weil man - so bitter das klingt - in der Juristerei am Ende des Tages immer fragen muss: Was kann man beweisen und was kann man nicht beweisen? Durch die AIS-Daten sind Geschwindigkeit und Kurs der Motorjacht, sowie der Unfallort belegt.
Es ist daher auch bewiesen, dass die Motorjacht zwei bis drei Minuten vor dem Unfall Vollgas gegeben und ihre Geschwindigkeit fast verdoppelt hat. Das macht den Mitverschuldensvorwurf so abwegig.
Das Gericht hat ja relativ klar gestellt, dass der Unfallverursacher einfach viel zu schnell gefahren ist.
Hecht: Ja, und nicht nur das. Es wird ihm auch vorgeworfen - das ist im Seerecht sehr wichtig, dass er eben keinen ordentlichen Ausguck gehalten hat. Das klingt für jemanden, der die Seefahrt nicht so kennt, nicht so spektakulär, aber man sagt 'Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand'.
Wenn Sie auf See sind, ist das potenziell immer gefährlich. Sie müssen immer aufmerksam sein. Schiffe haben unheimlich lange Bremswege. Man kann nicht einfach auf die Bremse treten. Deswegen muss man als Bootsführer gegebenenfalls jemanden von der Crew einteilen und sagen: Guckt mit! Guckt hinten, vorne, oben, unten, es kann von überall was kommen.
Die Sportbootrichtlinie verlangt daher auch, dass eine Motorjacht eine gute Rundumsicht haben muss. Da die "My Seewind" laut BSU-Bericht nur eine eingeschränkte Rundumsicht hat, musste der Ausguck umso mehr ordentlich besetzt sein.
Das Gutachten der BSU kommt eben auch zu diesem erstaunlichen Schluss, die Sicht des Unfallbootes sei eingeschränkt. Wie kann es sein, dass das Unfallboot überhaupt zugelassen wurde?
Hecht: Das ist mir - ehrlich gesagt - auch ein Rätsel. Es gibt die so genannte Sportbootrichtlinie. Es handelt sich um eine europäische Verordnung, die Mindestsicherheitsanforderungen an Sportboote aufstellt.
Ein Bootshersteller entwickelt zunächst ein neues Boot, und geht dann zu einer benannten Stelle. Das sind private Unternehmen, die vom Staat beauftragt werden - vergleichbar mit dem TÜV - zu prüfen, ob die Anforderungen der Sportbootrichtlinie eingehalten worden sind. Der Hersteller führt das Boot vor und gibt in der Regel an, welche EN-ISO-Normen er einhält, um die Anforderungen der Sportbootrichtlinie zu erfüllen. Wenn er die Normen einhält, erhält das Boot ein CE-Zertifikat.
Dabei muss man bedenken, dass die benannten Stellen als Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse haben, viele Kunden zu haben. Es ist natürlich nicht im Interesse der Kunden, wenn die benannte Stelle zu allem und jedem nein sagt.
Warum schreiten Behörden nicht ein und ziehen bemängelte Boote aus dem Verkehr?
Hecht: Ich hab den Eindruck, dass dort die Auffassung vertreten wird, dass eben von diesem Schiff keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben ausgeht, die ein sofortiges Einschreiten rechtfertigen würde. Ich glaube, man darf die wirtschaftliche Bedeutung dieser Frage, ob man dieses Produkt stilllegt oder zurückruft, nicht unterschätzen. Wir reden über Schiffe im Wert von zig Millionen Euro. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Behörden hier so zurückhaltend reagieren.
Welchen Schaden hat Herr Fahlbusch genommen?
Hecht: Als allererstes hat Herr Fahlbusch ein Bein verloren und ein zweites ist schwer verletzt worden. Herr Fahlbusch kann keine Treppe mehr gehen, er hat täglich Schmerzen bis heute. Herr Fahlbusch war selbstständig, er hat kein Einkommen mehr. Damit ist seine Existenzgrundlage weg. Herr Fahlbusch war aber auch begeisterter Sportler und insbesondere Wassersportler. Das war sein Lebensinhalt. Er hat ein Surfbrett, eine Segeljolle, fuhr aber auch gerne Fahrrad und Ski. Das kann er heute alles nicht mehr.
Herr Fahlbusch muss sich also nicht nur täglich mit seiner Behinderung auseinandersetzen, sondern ihm ist auch seine Existenzgrundlage und sein Lebensinhalt genommen worden. Das sind Schäden, die man nur sehr begrenzt mit finanziellen Mitteln entschädigen kann. Herr Fahlbusch sagt gerne zu mir: Fragen Sie mal jemanden, für wie viele Millionen er sein Bein abgeben würde.
Wie reagiert der Unfallverursacher auf die Schmerzensgeld- und Entschädigungsforderungen?
Hecht: Im Prinzip verhandeln wir nicht mit dem Unfallverursacher, sondern mit seiner Versicherung. Anscheinend ist der Unfallverursacher nur insoweit bereit Herrn Fahlbusch zu entschädigen, wie seine Versicherung den Schaden übernimmt. Die Gegenseite gibt Herrn Fahlbusch weiterhin eine Mitschuld an dem Unfall und greift jede Schadensposition an.
Neben seinem persönlichen juristischen Kampf - Wofür kämpft Ihr Mandant noch?
Hecht: Er steht am Strand und beobachtet da Motorboote, die direkt unter der Küste mit hoher Geschwindigkeit durch unterschiedliche Arten von Wassersportlern fahren, also Schwimmer, Kajakfahrer, Segler. Und er sieht die Unterschiede in den Kräfteverhältnissen. Er möchte niemanden in seiner Freiheit beschneiden. Es gibt einen Unterschied zwischen 40 Knoten und 15 Knoten.
Auch 15 Knoten sind schon sehr schnell auf dem Wasser. Was Herr Fahlbusch im Moment zu erreichen versucht, ist, dass in einem gewissen Bereich, eine ausdrückliche Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt wird, damit nicht noch jemand anders das gleiche Schicksal wie er erleiden muss.