Aktenzeichen Pflegekind
Dennis hat seinen Eltern ein Bild gemalt. "Für Mama und Papa" steht auf dem Papier neben drei Kritzelmännchen. Doch der Sechsjährige darf die Menschen, die er Papa und Mama nennt und bei denen er sein ganzes Kinderleben verbracht hat, kaum noch sehen.
Das Jugendamt hat Dennis gegen seinen Willen im Heim untergebracht. "Dabei hatte er hier seine Freunde, freute sich auf unseren gemeinsamen Urlaub und wusste schon, wen er zu seinem Geburtstag einladen will", erzählt Pflegemutter Anja Schneider.
Ämter entscheiden nach Aktenlage
Die Pflegeeltern wollen weiter um den Jungen kämpfen, obwohl sie gesundheitlich und finanziell am Ende sind. Ämterkrieg und teure Gerichtsverfahren haben sie zermürbt. Es sind Geschichten wie diese, die zeigen, wie unsicher die Situation von Pflegekindern häufig ist. In vielen Fällen entscheiden Jugendämter vor allem nach Aktenlage und kennen die Familien kaum. Zu viele Fälle auf dem Schreibtisch, zu wenig Zeit für Besuche.
Mancher Behörde sitzt auch noch der Spardruck im Nacken - und ein Kind zurück in die Herkunftsfamilie zu geben, kann für das Amt die kostengünstigere Variante sein. Viele Pflegeeltern werden kaum betreut und unterstützt, sie durchleben eine emotionale Achterbahnfahrt.
Kinder werden vor Gericht gezwungen
Auch die fünfjährige Sandra lebte in den letzten Jahren in einem Zustand dauernder Verunsicherung: Muss sie zu ihren leiblichen Eltern zurück oder darf sie bei ihren Pflegeeltern bleiben? Gegen die angeordneten Besuche bei ihrer Herkunftsfamilie sträubte sich das Mädchen heftig. Schließlich mutete ihr das Amt sogar einen Gerichtsprozess zu, der sie schwer belastet. Dabei bräuchten gerade solche Kinder dringend Sicherheit und ein stabiles Umfeld.
Juristen fordern Reformen
Doch ein Pflegeverhältnis ist juristisch eher als Unsicherheitsverhältnis angelegt. Rechtsanwalt Peter Hoffmann, der in den letzten Jahrzehnten rund 1.500 Pflegekind-Verfahren bestritten hat, fordert Reformen: "Ein Pflegeverhältnis kann jeden Tag aufgelöst werden und der Entzug der elterlichen Sorge kann auch bei schwer geschädigten Kindern immer wieder rückgängig gemacht werden. Wir brauchen eigentlich strukturell etwas völlig Neues, zugeschnitten auf die so geschädigten Kinder."