Immer mehr Schlägereien beim Amateurfußball

Stand: 21.01.2025 17:16 Uhr

In den letzten Jahren ist im Amateurfußball die Zahl der Spielabbrüche wegen gewalttätiger Zwischenfälle stark angestiegen. Manche Vereine reagieren mit Antiaggressionstrainings, aber insgesamt geschieht offenbar noch zu wenig.

von Leonie Hartge und Mirco Seekamp

Ein kurzes Handyvideo zeigt eine Menschentraube auf einem Fußballplatz. Spieler und Fans schlagen aufeinander ein. Es geschieht am Rande eines Kreisligaspiels Mitte November in Krogaspe bei Neumünster. Nach einem Foul und gelb-roter Karte eskaliert die Situation, wird zu einer Massenschlägerei mit 100 Beteiligten, laut Polizei. Das Spiel wird abgebrochen. Neun Streifenwagen und ein Rettungswagen müssen anrücken, mehrere Personen werden verletzt, eine davon so schwer, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. 

Ein Denkzettel für alle Beteiligten

Hakan Yilmaz © NDR
Hakan Yilmaz ist nach den Gewaltvorfällen der neue Trainer der 2. Herrenmannschaft des FC Torpedo Neumünster.

Hakan Yilmaz übernahm die zweiten Herrenmannschaft des FC Torpedo Neumünster nach dem Vorfall im November. Von den beiden ehemaligen Trainern hat sich der Verein getrennt. Auch mehrere Spieler wurden aus der Mannschaft ausgeschlossen. Die Verfahren am Sportgericht laufen noch. "Ich glaube, das war für alle, die an dem Tag da waren, ein Denkzettel", sagt Yilmaz.

Andreas Bauer ist der Torwart der Mannschaft. Er war bei dem Vorfall auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite und konnte zunächst nur zuschauen: "Sowas habe ich noch nie erlebt, und ich spiele seit über 20 Jahren Fußball. Das war schon krass." 

Gewalt bei Spielen wird brutaler 

Fußbälle auf einem Fußballplatz bei Nacht © NDR
Die Zahl der wegen Gewaltvorfällen abgebrochenen Fußballspiele, hat seit der Saison 2016/17 deutlich zugenommen.

Die Auseinandersetzungen im Amateurfußball sollen laut Beobachtern brutaler geworden sein. Bei einem Fußballturnier in Frankfurt im Sommer 2023 kommt es sogar zu einem Todesfall: Ein 15-jähriger Spieler aus Berlin bekommt einen Schlag gegen den Hals, eine Arterie wird getroffen. Im Krankenhaus stirbt er an den Hirnblutungen. 

Thaya Vester beschäftigt sich als Kriminologin an der Universität Tübingen schwerpunktmäßig mit Gewalt im Amateurfußball. Für sie ist die Anzahl der Spielabbrüche ein zuverlässiger Indikator für die Brutalität der Auseinandersetzungen. "Das ist ja das Schlimmste, was im Fußball passieren kann. Der worst case. Man kann nicht mehr weiterspielen aufgrund von Gewalt oder Diskriminierung. Und diese Zahlen sind eben in den letzten Jahren deutlich angestiegen."   

In der Saison 2016/17 kam es laut Lagebild des DFB noch zu 595 gewaltbedingten Spielabbrüchen, der vorläufige Tiefstand. In der vergangenen Saison 2023/24 waren es bereits 909. Auch wenn in der gleichen Zeit die Zahl der durchgeführten Spiele etwas anstieg, ist das ein deutlicher Zuwachs an Spielabbrüchen. Diese Zahlen bilden laut Vester jedoch nur "einen Teil des Geschehenen" ab. Viele Vorfälle schafften es nicht ins Lagebild - es gäbe also ein "Dunkelfeld". 

Lernen aus der Eskalation  

. © Screenshot
Astrid Touray coacht die Mannschaft des Bremer SV, mit Aggressionen umzugehen.

Andere Vereine gehen proaktiv gegen Gewalt in ihrer Mannschaft vor. So gab es im März letzten Jahres eine Massenschlägerei, bei der ein Spieler des Bremer SV einem auf dem Boden liegenden Gegenspieler gegen den Kopf tritt. Das Video des Vorfalls geht viral, das Sportgericht sperrt Spieler und im Verein löst es eine Debatte aus.  

Der Bremer SV engagiert die Konfliktberaterin Astrid Touray, die den Kickern beibringen soll, wie sie mit Aggressionen umgehen. "Was kann ich eigentlich tun, wenn ich merke, ich werde beleidigt? Oder wenn ich ganz unzufrieden mit meiner eigenen Spielleistung bin? Und ich merke, ich werde wütend? Was kann ich tun? Diese Strategien, das müssen wir den Menschen auch beibringen", erklärt Touray. Sie hat ihre Ausbildung beim Landesfußballverband in Niedersachsen gemacht, der sogenannte "Konfliktlotsen" ausbildet. 

Paliz Shaghaghi vom Bremer SV habe gelernt, wie wichtig es sei, sich im Team gegenseitig runterzubringen, erzählt er. "Wenn ich mal emotional werde, auch jetzt in der Saison, dann denkt man auch aktiv zweimal drüber nach, ob man jetzt laut wird, ausrastet, emotional wird oder ob man ruhig bleibt. Und den Schiedsrichter einfach entscheiden lässt. Abhaken und weitermachen. Das habe ich wirklich gemerkt, dass man das durch so ein Kurs einfach verinnerlicht."

Der Trainer der Mannschaft, Jan Iqbal, konnte in die Eskalation nicht eingreifen, er lag zu Hause krank im Bett. Auch er ist unzufrieden mit der Arbeit seines Landesverbandes: "Uns wurden neun Punkte abgezogen. Sechs Spieler wurden gesperrt und seitdem haben wir nichts gehört vom Bremer Fußballverband. Also, wenn ich ehrlich bin, da ist nichts gekommen."

Was tun die Verbände?  

Jan Iqbal © Screenshot
Er habe immer versucht, auch schwierige Jungs in die Mannschaft zu integrieren, sagt Trainer Jan Iqbal.

Der Bremer Fußballverband beteuert uns gegenüber, dass er dem betroffenen Verein selbstverständlich "ein proaktives Betreuungsangebot" gemacht habe. Doch das ist offensichtlich so nicht bei der Mannschaft angekommen. Der schleswig-holsteinische Fußballverband erklärt auf unsere Nachfrage: "Der Umgang mit Gewalt und Aggression im Amateurfußball wird (...) in der gesamten Trainer*innenausbildung mitgedacht". Allerdings absolvieren viele ehrenamtliche Trainer gar keine Ausbildung.

Der DFB hat versucht, mit neuen Regeln auf die Gewalt und die Ausschreitungen im Amateurfußball zu reagieren: Mit dem sogenannten Stopp-Konzept kann der Schiedsrichter neuerdings Spiele pausieren, wenn es zu hitzig wird. So können die Spieler zur Ruhe kommen. Zudem soll nur noch der Kapitän mit dem Schiedsrichter sprechen, um Konflikte zu vermeiden.  

Doch besonders an präventiven Maßnahmen mangele es noch, betont Vester von der Universität Tübingen: "Ich habe den Eindruck, dass das Thema Gewalt im Fußball eben immer nur dann verhandelt wird und angegangen wird, wenn es sich aufdrängt. Wenn es halt nicht anders geht. (..) Man muss auch ganz klar sagen, dass jetzt Gewaltprävention nicht das Thema Nummer eins ist, mit dem er [der DFB, Anm. d. Red.] sich jetzt gerne beschäftigt", erklärt sie. 

Konfliktberaterin Touray wünscht sich, dass Problemspieler nicht einfach rausgeschmissen werden: "Ich finde, Fußball Sport ist zu schön, als dass man es kaputt gehen lässt daran. Und als dass man Menschen ausschließt von dem Sport, weil sie sich nicht in Griff haben oder weil sie vielleicht in ihrem Leben gerade wirklich ganz viel zu wuppen haben und der Rucksack voll ist mit Sorgen."  

Denn eigentlich soll Sport verbinden, integrieren. Doch die Gewalt auf dem Spielfeld macht das auf Dauer nahezu unerreichbar. Zeit also für die Verbände, entschlossen mehr gegen die Gewalt zu tun und Prävention zu priorisieren.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 21.01.2025 | 21:15 Uhr