Digitale Verwaltung: Online in Zeitlupe

Sendedatum: 21.11.2023 21:15 Uhr

Elterngeld, Bauanträge oder Ummeldungen: Verwaltungsleistungen sollten eigentlich schon längst online verfügbar sein. So sah es zumindest das Onlinezugangsgesetz aus dem Jahr 2017 vor. Die gesetzte Frist ist längst gerissen - und viele Ämter arbeiten noch immer größtenteils analog.

von Marie Blöcher und Sinje Stadtlich

Mehrfach am Tag steigt Heidi Mewes oder einer ihrer Mitarbeitenden in den Keller des Flensburger Bauamtes, um Akten ans Tageslicht zu holen. "Hier sind unsere Katakomben. Einer von drei Räumen mit sehr vielen Akten", erklärt Bauamtsleiterin Mewes. Papier spielt hier nach wie vor eine große Rolle, nicht nur, weil Bauanträge mit Zeichnungen und Plänen oft umfangreich sind, sondern auch, weil die Verfahren hier nach wie vor analog bearbeitet werden. Etwa 800 Anträge sind es im Jahr. Dabei würden sie hier gern schon digital arbeiten, sagt Mewes: "Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätten wir das schon lange".

Musterlösung funktioniert noch nicht reibungslos

Heidi Mewes © NDR
Bauamtsleiterin Heidi Mewes würde gerne digitaler arbeiten - doch die Software fehlt noch.

Mewes und ihre Kolleginnen und Kollegen legen schon heute digitale Akten an. Sobald Sie das "Go" vom Land Schleswig-Holstein bekommen, werden sie in Zukunft die Bauanträge auch digital annehmen und bearbeiten können. Dafür fehlt allerdings noch die Anbindung an eine Software.  

Diese Software soll aus Mecklenburg-Vorpommern kommen - denn die Digital-Strategie der Bundesregierung sieht so aus: Ein Bundesland digitalisiert eine bestimmte Leistung und diese Musterlösung soll von anderen Bundesländern übernommen werden. Efa-Prinzip nennt sich das und bedeutet: "Einer für alle". Es soll die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen, denn die sollte längst viel weiter sein.

Vom Soll meilenweit entfernt

2017 trat das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft. Bis Ende 2022 sollten danach 575 Verwaltungsleistungen online zu erledigen sein. Doch die Frist wurde gerissen und noch immer sieht die Realität anders aus. Wie viele - oder wie wenige - Leistungen online angeboten werden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich: In Hamburg sind es aktuell 229, in Mecklenburg-Vorpommern 196, in Schleswig-Holstein 191 und in Bremen 165. Alle sind meilenweit vom Soll-Zustand entfernt.

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Föderalismus als Bremsklotz?

Markus Richter ist als "Chief Information Officer" zuständig für die Digitalisierung in Deutschland. "Wir stehen bei der  Verwaltungs-Digitalisierung nicht da, wo wir sein sollen, das ist ganz klar", sagt auch er. Richter verweist aber darauf, dass man es in Deutschland mit einer "breiten Bestandslandschaft" zu tun habe - dass also durch die Zuständigkeiten der Länder verschiedene Strukturen in den Bundesländern eine einheitliche Digitalisierung erschwerten.

Immer wieder wird der Föderalismus als Grund für die langsame Digitalisierung genannt. Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln findet, man könnte trotzdem deutlich weiter sein. "Der Stand der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland ist leider weiterhin sehr schlecht", kritisiert er. Viele andere europäische Länder seien deutlich weiter, und Deutschland falle im Vergleich weiter zurück. Mittlerweile gilt schon das Folgegesetz des Onlinezugangsgesetzes - das OZG 2.0. Damit soll die Verwaltung endlich flächendeckend digital werden.

Dass es dadurch besser wird, bezweifelt Röhl: "Wir wollen schneller werden, aber wir sehen nicht, dass es schneller wird, weil die Grundprobleme nicht behoben wurden." Und die Grundprobleme seien vor allem eine fehlende zentrale Steuerung und die Tatsache, dass Prozesse oft einfach digitalisiert, dabei aber nicht effizienter gemacht würden.

EU drängt auf baldige Umsetzung

Markus Richter © NDR
Markus Richter ist als "Chief Information Officer" der Bundesregierung zuständig für die Digitalisierung im Land.

Die Maßnahmen im OZG 2.0 sind ähnlich wie im ersten Gesetz - einen wesentlichen Unterschied gibt es allerdings: Im OZG 2.0 wurde keine Frist mehr definiert, bis zu der die verschiedenen Leistungen digitalisiert sein müssen. Markus Richter sieht darin kein Problem. Er verweist darauf, dass schon heute Verwaltungen verpflichtet seien, Leistungen digital anzubieten. Keine Frist mehr zu setzen, hält er im Gegenteil "für ein scharfes Schwert". Außerdem habe die Ministerpräsidentenkonferenz kürzlich mehr Geld für die digitale Verwaltung beschlossen.

Doch auch, wenn im Gesetz keine Frist mehr definiert ist - eine andere Deadline naht schon in wenigen Wochen: Die EU hat beschlossen, dass die EU-Länder bis Mitte Dezember 2023 21 Verwaltungsleistungen flächendeckend digital anbieten müssen. Für Deutschland dürfte das knapp werden.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 21.11.2023 | 21:15 Uhr